Der Traum von Heilung

Dieses Buch ist 60 Jahre zu spät erschienen. Denn auch der Vater des Webmasters träumte damals von Heilung von der Tuberkulose durch einen Jahresaufenthalt in einer Höhenklinik. Doch der «Mythos der Höhenkur» war nur Marketing, erfahren wir nun. Vielleicht war auch Thomas Manns Roman «Zauberberg» gesponsert von cleveren Davoser Gesundheitstouristikern.

„Früher hätten im Sommer nur die Treuesten der Treuen in diesem Tale ausgeharrt. Da habe ‚unser Humorist‘ mit unbestechlichem Scharfblick erkannt, daβ dieser Miβstand nichts als die Frucht eines Vorurteils sei. Er habe die Lehre aufgestellt, daβ, wenigstens soweit sein Institut in Frage komme, die sommerliche Kur nicht nur nicht weniger empfehlenswert, sondern sogar besonders wirksam und geradezu unentbehrlich sei. Und er habe dieses Theorem unter die Leute zu bringen gewuβt, habe populäre Artikel darüber verfaβt und sie in die Presse lanciert. Seitdem gehe das Geschäft im Sommer so flott wie im Winter. ‚Genie!‘ sagte Settembrini. ‚In-tu-i-tion!‘ sagte er. Und dann hechelte er die übrigen Heilanstalten des Platzes durch und lobte auf beiβende Art den Erwerbssinn ihrer Inhaber.“

Wir lassen Settembrini noch ein bisschen weiterhecheln über die Heilanstalten von Davos. Über das Sanatorium „Berghof“, das den fiktiven Hauptschauplatz im Roman „Der Zauberberg“ von Thomas Mann bildet. Allerdings hielt sich der Autor durchaus an bestehende Kliniken. So diente das 1909/11 erbaute Waldsanatorium als eine der Vorlagen für die inneren Räumlichkeiten des „Berghofs“. Hier war Manns Frau Katia 1912 ein halbes Jahr zur Kur; Thomas besucht sie vom 15. Mai bis zum 12. Juni, und fast wäre er – wie sein Romanheld Hans Castorp – länger geblieben, als Professor Friedrich Jessen einen kranken Punkt in der Lunge feststellte. Doch auf Anraten seines Hausarztes kehrte Mann ins Flachland zurück und begann an der „Davoser Novelle“ zu arbeiten. Aber die Erzählung  wuchs sich zum Roman aus, den Mann – mit dem Unterbruch des Weltkrieges – im September 1924 beendete. Zwei Monate später erschien „Der Zauberberg“.

Thomas Mann entzog sich also dem „Mythos der Höhenkur“. Der Ausdruck findet sich in der ersten Zeile eines neuen Buches, das sich, so der Untertitel, mit der „Geschichte der Höhenkur zur Behandlung der Lungentuberkulose“ befasst. Christian Schürer nimmt darin den von Settembrini bzw. Mann geäusserten Gedanken auf, „dass Davos und später andere Orte in den Schweizer Alpen – anders als in der Fachliteratur häufig beschrieben – nicht wegen eines der Natur innewohnenden Heilfaktors zu berühmten Luftkurorten wurden, sondern weil sie sich clever als Orte der Gesundheit vermarkteten.“ Schürer beweist anhand eines hohen Berges von ausgewertetem Material, dass die Tuberkulose, noch vor 100 Jahren die häufigste krankheitsbedingte Todesursache, nicht zwingend in der Höhe und in der schweizerischen Alpenluft hätte kuriert werden müssen (wenn eine Heilung überhaupt möglich war). Aber diejenigen Kliniken und Ärzte und Tourismusverantwortlichen, die ein finanzielles und soziales Interesse an ganzjährig verweilenden Kurenden und Patienten hatten, sahen das natürlich ganz anders. Durch die Behandlung der Lungentuberkulose wurden verarmte Bergtäler – und allen voran das Hochtal von Davos – zu Goldgruben.

Das im Buch abgebildete Plakat, das Otto Morach kurz nach der Veröffentlichung von Manns „Der Zauberberg“ im Auftrag des Verkehrsvereins Davos schuf, sagt es in grünen und roten Grossbuchstaben: „DER WEG ZUR KRAFT u. GESUNDHEIT FÜHRT ÜBER DAVOS.“

Christian Schürer: Der Traum von Heilung. Eine Geschichte der Höhenkur zur Behandlung der Lungentuberkulose. Hier und Jetzt Verlag, Baden 2017, Fr. 59.- www.hierundjetzt.ch

Dienstag, 23. Mai 2017, 20 Uhr im Medizinmuseum Davos, Promenade 43, 7270 Davos Platz. Der Traum von Heilung: Barbara Gassler (Davoser Zeitung) im Gespräch mit Autor Christian Schürer und Peter Flury, Präsident Stiftung Medizinmuseum Davos.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert