Dichter am Berg

AS Verlag

„Literatur, Liebe, Berge. Um diese Pole kreisen seine Gedanken und Gefühle. Ludwig Hohl verbringt die Sommerferien wie schon mehrere Jahre zuvor bei seiner Grossmutter in Netstal. Tag für Tag steigt er auf die umliegenden Berge, oft in waghalsigem Alleingang und bei jedem Wetter: Bös Fulen, Höch Turm, Kärpf, die Wägitalerberge und das Rheinwaldhorn drüben in Graubünden. In einem Notizheft hat er seine Tourenprojekte minutiös geplant, mit Freunden besprochen. Zu Hause trainiert er am Gangfenster mit Klimmzügen zur «Stärkung des vordersten Fingergliedes für ganz kleine Vorsprünge». Er lebt ganz «im Geist in den Bergen». Wie ein moderner Sportkletterer bereitet er sich mental und köperlich systematisch auf den Sommer in Fels und Eis vor. Kaum in Netstal angekommen, eilt er frühmorgens zu den Wiggisfussklettergründen, wie er die Felsstufen am Fuss der gewaltigen Ostwand des Wiggis nennt, und trainiert. Und immer wieder steigt er auf die Gipfel des Mürtschenstocks, dreimal allein in diesem Sommer, mehrmals noch in den folgenden. Es ist der Berg, den er am häufigsten besucht. Über seine Touren führt er in Notizheften akribisch Buch.

Der Mürtschenstock ist auch mein Hausberg, viele Male bin ich hinaufgestiegen, einmal allein über den Südgrat des Ruchen wie der junge Hohl. Heute trifft man kaum mehr Menschen an in jener zerschrundeten Felsenwelt, die einst bei Kletterern sehr beliebt war. Mir begegnete damals einzig ein Steinbock auf dem Grat, er blickte mich verwundert an und zog dann leichtfüssig ab. Auf den einsamen Gipfeln hoch über dem blauen Land mit den Hügeln und Bergkämmen und dem See in der Tiefe, Wind im Gesicht, habe ich oft das Gefühl, ich sitze im Mastkorb eines Schiffes, das mich in eine unbekannte Ferne trägt.“

Ausschnitt aus einem ganz besonderen Buch: „Dichter am Berg. Alpine Literatur aus der Schweiz“ von Emil Zopfi. Zopfi? Genau, das ist derjenige von www.bergliteratur.ch. Und wer hat sein jüngstes Bergbuch lektoriert? Der Anker, der auf Zopfis Site die Rubrik „Ankers Buch der Woche“ betreut. Bei solchen Verhältnissen eine Rezension zu schreiben, ist wie Edelweisspflücken in einer abschüssigen Halde. Deshalb übernehme ich an dieser Stelle gerne, was der AS Verlag publiziert hat:
Bergliteratur hat Höhen und Tiefen durchlaufen. Hochgejubelt, vergessen und neu entdeckt, ist sie Spiegel gesellschaftlicher und kultureller Entwicklungen und Gedächtnis alpiner Geschichte. Emil Zopfi ist lesend und kletternd bekannten und vergessenen Schriftstellerinnen und Schriftstellern am Berg und in ihren Werken gefolgt. Eine Gratwanderung durch ein Jahrhundert alpiner Literatur aus der Schweiz. Auf den Spuren von Christian Klucker, Friedrich Nietzsche, Hermann Hesse, Hans Morgenthaler, Meinrad Inglin, Alfred Graber, Ludwig Hohl, Annemarie Schwarzenbach, Ella Maillart, Jürg Weiss, Emmy Nöthiger-Beck, Max Frisch, Maurice Chappaz, Betty Favre, Ernst Reiss, Dölf Reist, Franz Hohler, Luca Sganzini, Albert Vinzens, Roland Heer und Oswald Oelz.

Emil Zopfi: Dichter am Berg. Alpine Literatur aus der Schweiz. AS Verlag, Zürich 2009, Fr. 39.80.

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