Stefan König zeichnet die Lebens- und Reisewege von Menschen nach, die das Gehen im Gebirge geformt und verändert hat. Seine und ihre Schilderungen lassen uns die Alpen vor der Zeit des Massentourismus entdecken.
„Airolo liegt noch etwa zweihundert Fuß höher mithin als Grindelwald. Wie anders aber ist der Anblick des Livinertals, selbst hier in seinem raueren Teile! Die Lüfte milder; so klar als wie vom Wiederschein des reinen Himmels die Gewässer des Tessin; so malerisch die Formen und die Farben der Felsen von Stalvedra; und selbst der Wuchs der Getreidepflanzen scheint hier schon kräftiger zu werden. In Grindelwald wird selten oder gar kein Wintergetreide zu bauen versucht; hier ist Winterroggen das gewöhnliche Getreide.“
Soweit ein kurzer Ausschnitt aus dem Buch mit dem langen Titel „Bemerkungen auf einer Alpen-Reise über den Susten, Gotthard, Bernardin, und über die Oberalp, Furka und Grimsel. Mit Erfahrungen über die Kultur der Alpen und einer Vergleichung des wirthschaftlichen Ertrags der Bündenschen und Bernischen Alpen. Nebst Betrachtungen über die Veränderungen in dem Klima des Bernischen Hochgebirgs. Ein von der Schweizerischen Gesellschaft für die Naturkunde gekrönte Preisschrift“, verfasst von Karl Albrecht Kasthofer, publiziert von Sauerländer 1822 in Aarau, erhältlich beim Antiquariat Daniel Thierstein in Bern für 460 Franken.
Günstiger ist das Buch „Die Alpenwanderer“ von Stefan König, mit dem etwas langen Untertitel „Forscher, Schwärmer, Visionäre. Große Fußreisen durch das Gebirge. Eine Wiederentdeckung“. Kasthofer war alles zusammen, und auch erster Oberförster des Berner Oberlandes. Am Kleinen Rugen (733 m), dem waldigen Hügel und Hausberg von Interlaken, führte Kasthofer ab 1806 die nachhaltige Waldwirtschaft ein. Dabei dehnte der Forstpionier diese Art von Nutzung über Holz, Futterlaub und Streue auch auf Schutzwirkung, Lebensraum für gefährdete Pflanzen- und Tierarten sowie Erholung aus.
Stefan König hat nun Kasthofer ein Kapitel in seinem neuen Buch gewidmet. Andere von ihm vorgestellte Alpenwanderer sind Hans Conrad Escher von der Linth, Joseph Kyselak, Heinrich Noé, Johann Gottfried Seume, Ludwig Steub, Theodor Trautwein, Jacob Samuel Wyttenbach. Wandersfrauen hat er keine aufgenommen; aber es gab sie damals schon, wie etwa Eliza Robinson Warwick Cole mit ihrem wunderbaren Buch „A Lady’s Tour round Monte Rosa“ von 1859 (übrigens bei books.google.com zu finden). König zeichnet die Lebens- und Reisewege von Menschen nach, die das Gehen im Gebirge geformt und verändert hat. Seine und ihre Schilderungen lassen uns die Alpen vor der Zeit des Massentourismus entdecken. Manchmal wird allerdings nicht sofort ersichtlich, was Original, Nacherzählung oder Kommentar ist.
In einer Sache liegt Stefan König daneben bei Karl Albrecht Kasthofer, geboren am 26.10.1777 in Bern und daselbst am 22.1.1853 verstorben. Er wünscht sich zu Recht „ein Denkmal, umrahmt von lauter Bäumen“. Die Kasthofer-Gedenkstätte mit seinem verloren geglaubten und zufällig gefundenen Grabstein befindet sich seit 1993 zuoberst auf dem waldigen Ostermundigenberg (732 m) bei Bern.
Stefan König: Die Alpenwanderer. Tyrolia Verlag, Innsbruck 2009, Fr. 34.50.
Und: Wer sich interessiert für die Geschichte des Wanderns und einer seiner Formen, des Spazierens (vielleicht ist aber gerade umgekehrt), sollte den Essay „Spaziergänge“ von Kurt Wölfel in der Schriftenreihe der Vontobel-Stiftung lesen; alles weitere unter www.vontobel-stiftung.ch.