Wer sich für Klettertouren und steile Abfahrten im Land der Mullahs interessiert, kann sich durch dieses Buch anregen lassen. Berg heisst auf Farsi, der Hauptsprache des Iran, übrigens «Kuh».
„Die Autofahrt führte uns auf sehr guten Straßen von der Stadt Tabriz aus in Richtung Osten nach Meshkin Shahr, das nach etwa 150 km auf halbem Weg zum Kaspischen Meer liegt. Von Meshkin Shahr führt eine asphaltierte Straße Richtung Süden in das Massiv des Kuh-e Sabalan bis auf eine Höhe von ungefähr 2500 m. Am Ende dieser Straße befinden sich die an Wochenenden sehr gut besuchten Heilbäder von Ghotorsouie, die von heißen Schwefelquellen gespeist werden. Von dort führt eine Piste zum Ausgangspunkt der Besteigung über den Normalweg des Kuh-e Sabalan (4811 m), eine Moschee auf 3700 m. Um diese nur mit einem geländegängigen Fahrzeug erreichbare Moschee hat sich auch ein wenig Infrastruktur in Form von Unterkünften und fließendem Wasser entwickelt, das sicher ein Indiz für die steigende Beliebtheit des Alpinismus im Iran durch die großstädtische Bevölkerung ist.“
Der Kuh-e Sabalan ist ein paar Meter höher als der höchste Gipfel der Alpen – und der dritthöchste im Iran. Der Vulkan Damavand (5671 m) unweit Teheran ist der alles überragende Berg des Landes und zugleich der Kulminationspunkt des gesamten Mittleren Orients. Zudem ein absolut fantastischer Skiberg: Wer von einem der höchsten freistehenden Berge der Welt schier stundenlang hinab gefahren ist, wird Mühe haben, noch eine bessere Abfahrt zu finden. Aber auch der Sabalan soll mit Ski besteigbar sein; jedenfalls zeichnet er sich durch besonders hohe Niederschläge im Winter aus. Es tönt schon verlockend, neben einer Moschee mit zwei Minaretten zu übernachten und anderntags vom gefrorenen Kratersee bis zu den heissen Quellen zu kur(v)en. Wie der Berg im Sommer aussieht, kann man übrigens auf Google Earth anschauen; sogar die Aufstiegsroute ist sichtbar, die paar Gletscher auch. Aber wer mehr über die Berge in einem Land erfahren will, das bei uns eigentlich nur politische Schlagzeilen macht, sollte in dem von Karl Gratzl und Robert Kostka herausgegebenen Buch „Die Bergwelt des Iran“ surfen. Leider etwas unübersichtlich werden die verschiedenen Gebirge näher vorgestellt, vom Bergland in Azerbaidjan im Nordwesten (mit dem Sabalan) bis zum Makran und dem Bergland von Balutschistan im Südosten. Überall in diesem 1‘648‘000 Quadratkilometer grossen Staat erheben sich Kuh-e. Kuh-e oder Kuh ist ganz einfach das iranische Wort für Berg. Eine faszinierende Welt. Zum Beispiel der Haft Tanan (4060 m) im Zard Kuh-Massiv im Bachtiarenland: atemberaubend seine verschneiten Hänge. Der Name bedeutet übrigens „sieben Körper“. Weniger geheimnisvoll gibt sich die Cima Italia (3900 m) im gleichen Massiv – sie wurde 1934 so getauft. Über frühere Iran-Expeditionen erfährt man viel in diesem Buch, von Sven Hedin bis zu den Österreichern. Aktuelle (alpin)touristische Infos hingegen fehlen zuweilen. Das Kapitel mit dem schönen Titel „Von Bergen und Minaretten – Klettern in Persien“ verspricht zu viel: Rückblick zu ehemaligen Klettertouren statt ein Überblick über heutige Kletterrouten. Es ist halt auch eine eher wissenschaftlich-geografische Publikation. Ein Kapitel hat mich besonders beeindruckt: dasjenige über die Qanáte. Das ist eine besondere, uralte Technik zur Gewinnung von Grundwasser, insbesondere im Hochland von Iran. Dazu wird das Grundwasser möglichst weit oben angezapft und dann durch Stollen dorthin geleitet, wo es gebraucht wird, wobei die Wasserstollen durch senkrechte Schächte belüftet sind. Quanáte sind so etwas wie unterirdische Suonen. Teheran verdankt seine Macht auch den Quanáten; ohne ausreichende Wasserversorgung wäre die Stadt kaum zum grössten Handelszentrum des Landes gewachsen. Bis 1930 wurde Teheran, das damals 200‘000 Einwohner zählte, ausschliesslich durch 12 solcher Kanäle versorgt. Weitere Kapitel behandeln Klima, Vegetation, Tier- und Pflanzenwelt. Und eines auch den „Skisport in Tausendundeiner Nacht“ – Dizin statt Kitzbühel. Der höchste Skilift erreicht eine Höhe von knapp 3600 m, was Dizin zu einem der 40 höchstgelegenen Skigebiete der Welt macht.
Karl Gratzl, Robert Kostka: Die Bergwelt des Iran. Weishaupt Verlag, A-Gnas 2009, Euro 48.50