Ein Bild sagt mehr als tausend Worte. Aber beides zusammen, die Worte des Professors über den Bau der Alpen und die Luftbilder des Alpinisten und Fotografen, machen Geologie auch für Laien verständlich. Ein geniales Buch – ohne sieben Siegel.
„Die Monte Rosa-Ostwand reicht von 2200 m bis 4500 m Seehöhe und wird damit oft als ‚die höchste Steilwand der Alpen‘ bezeichnet. Die Wand ist Teil des Monte Rosa-Massivs – einem der drei klassischen Internmassive der Alpen. Das Massiv besteht aus Graniten und Gneisen, die in variszischer Zeit (Intrusionsalter zwischen 310 und 260 MioJ) in die Europäische Kruste eindrangen. Während der alpinen Tektonik wurde das Monte Rosa-Massiv vor etwa 40 MioJ von seinem Untergrund abgetrennt, in über 50 km Tiefe geschleppt und ist heute allseitig von den ozeanischen Gesteinen des Südpenninischen Ozeans (Zermatt-Saas-Zone) umgeben. Im Zuge dieses Prozesses wurden die Gesteine bei etwa 500° C hochgradig metamorph: Minerale wie Feldspat, Biotit und Hellglimmer wurden zum Teil zu Granat, Phengit und Albit umgewandelt.“
Habt Ihr alles verstanden? Also schon mal etwas von der variszischen Zeit gehört? Und das Intrusionsalter ist Euch ebenso ein Begriff wie ein Internmassiv. Drei davon soll es geben, doch wie die zwei andern heissen, weiss ich nicht. Geologie war für mich bisher immer ein Buch mit sieben und mehr Siegeln; wenn ich Jura sage, meine ich ein schweizerisch-französisches Gebirge, Elektrogeräte und Kaffeemaschinen, ein Studium, aber kein Erdzeitalter.
Das wird sich nun ändern, danke eines neuen Buches: „Die Geologie der Alpen aus der Luft“ von Kurt Stüwe, Professor für Geologie an der Universität Graz, und Ruedi Homberger, Alpinist, Fotograf und Pilot aus Arosa. Ein starkes Team. Der Professor kommt ja nicht herum, mit all den auf Anhieb unverständlichen Begriffen der Geologie zu schreiben; man kann das besser und schlechter machen, aber die variszische Zeit bleibt für Nichtgeologen unfassbar. Aber: Dank der grossformatigen Luftaufnahmen, welche das Thema des Textes aufnehmen, wird es sofort viel verständlicher. Mehr noch: Dank den farbigen Grafiken und Profilen, die neben Foto und Text stehen, bekommen wir Laien wohl zum ersten Mal wirklich eine Ahnung vom Aufbau der Alpen. Wer will, kann auch nur die phantastischen Luftbilder anschauen und die präzisen Legenden lesen, und schon wird man die Alpen besser kennen und verstehen. Schon nur der Auftakt des Buches mit einer Doppelseite der Glarner Hauptüberschiebung im letzten Abendlicht, dazu das genau passende tektonische Profil und die Erklärung – genial.
Das Werk gliedert sich in die vier Teile Einleitung, Tektonische Bausteine der Alpen, Tektonische Entwicklung und Geo-Highlights der Alpen. Am Schluss finden sich ein Glossar, ein Index und eine Übersichtskarte der Fotos. 64 müsste die Ostwand des Monte Rosa sein. Ich blättere zurück auf Seite 64: Da ist sie, die höchste Wand der Alpen, eisig und gneisig.
Kurt Stüwe, Ruedi Homberger: Die Geologie der Alpen aus der Luft. 288 Seiten, 420 farbige Abbildungen. Weisshaupt Verlag, Gnas 2011, Fr. 79.-