Die Skitour, ein Zeitloser Wert

Auch nachdem man länger nichts dergleichen unternommen hat verspricht ein Ausflug auf den zwei Brettern ins Land der Skihochtour alles was erwartungsgemäss dazugehört. All jenen denen im Alltag nur noch Zeit zum kurzen Träumen bleibt sei also aufmunternd gesagt: Fürs wieder losziehen ist es nie zu spät.

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Ein Bergtermin, drei Tage Anfang März, stand bei uns drei alten Freunden schon lange im Kalender fest. Und dann wurde sogar das Wetter gut, sehr gut: Sonne das Ganze Wochenende, Lawinengefahrenstufe zwei.

Vor der Klostertaler Hütte in der Silvretta genossen wir am Freitagnachmittag die energiegeladene Sonne des verschneiten Hochgebirges, die weiten weissen Hänge aus denen nur vereinzelt Steine schauten und den wolkenlos blaue Himmel, die Stille und die Ruhe, die kraftvolle Strahlung. Solange bis die Sonne versank und uns die Felsgrate, hinter die sie schied, als den Horizont dunkel beherrschende Zackenreihen ins Bewusstsein rückte, als damit und urplötzlich unter dem fernen blauen Himmel die Kälte des Weltalls aus den Schneeflächen stieg und binnen Minuten das Wasser das grade eben noch von der Dachrinne tropfte, in den von uns darunter gestellten Sammeltöpfen gefror. Da flohen wir in die Hütte um einzuheizen, bekamen sie aber nicht so recht warm und fielen Stunden später, als es draussen dunkel war, in einen fröstelnden Schlaf.

Der nächste Tag begann vielversprechend. Die letzten Sterne verschwanden im hellen, zu allen Horizonten hin in feines Rosa übergehenden Blau des Morgenhimmels, als wir im Schatten die flachen Talhänge anzusteigen begannen. Wenig später bemerkten wir die ersten Schneefahnen am Klostertaler Egghorn und hinten am Gletscherkamm, nahmen sie aber nur wohlwollend als ein das Hochgebirge schmückendes, vom Künstler der Gemälde an die Horizonte drapiertes, dramatisierendes Randelement zur Kenntnis. Hoffnungsvoll interpretierten wir sie schliesslich noch als frühmorgendliches Phänomen das bald einschlafen würde, als uns auf einem Moränenkamm entlang gehend die Böen anfassten, leicht aber eisig. Doch diese Böen wurden mehr. Die zahlreichen Spuren von Gestern, auch die breite Aufstiegsspur der wir folgten, waren alsbald verschwunden denn die Pflugschar des Ostwindes hatte die Schneehänge zu einem weiten Acker scharfkantiger, kurz gehaltener Formen erodiert und ein neues Land geschaffen das unsere Kanten als erste durchschnitten. Die Schneefahnen die die Grate schmückten kamen bald auch in wirbelnden Hosen über die Hänge daher. Für Minuten rissen sie dann an unseren Jacken, umspülten die Beine wie das hinter der Welle ins Meer zurückströmende Wasser, und liessen nach Minuten ohne Sicht Minuten der Stille einkehren die immer auch Minuten der absurden Hoffnung waren, die soeben zurückströmende Welle sei die letzte ihrer Art gewesen. Im Windschatten unter den Felswänden des Grates war der Himmel über uns erfüllt von glitzerndem Sternennebel, leise rieselndem Sonnenschnee, lieblich, wäre er nicht hie und da durchzogen von losgerissenen Harschkrusten, die wie Papierfetzen in Wirbeln weit hinauf flogen. Der Gang über den Grat, nun in der Sonne deren Energie in den rhythmisch ein- und aussetzenden Böen auf reine Helle reduziert blieb, glich einem Gang durch eine Traumwelt. Der sonst übliche Westwind hatte grosse Wechten nach Osten vorgebaut, runde und wulstige Bastionen dicht nebeneinander, zwischen denen nur enge Lücken blieben. Durch diese Löcher jagte nun der seltenere Ostwind die Schneefahnen senkrecht in die Höhe, so dass ich zwischen ihnen, den anderen um Zehnermeter voran, wie durch eine Allee aus eisigen Geysiren dem Gipfel entgegen schritt. Hier angekommen sah ich vor mir nur einen Wirbel aus Schneekristallen in den ich eintrat, unwillkürlich in die Hocke ging und einem Drang folgend den Karabiner meines Hüftgurtes in das Stahlseil des Gipfelkreuzes klinkte. Auch hier waren es stets nur Minuten, Minuten die, hatte man sie durchstanden von Stille gefolgt waren in der ein friedliches Hochgebirge unter wolkenlosem Himmel weit ausgebreitet lag. Als die beiden anderen den Gipfel erreichten war ich bereits ausgekühlt und wurde ungeduldig als sie mich nach Punkten des Panoramas fragte.

Später genossen wir die verbleibenden Stunden des Nachmittags vor der geschützten und besonnten Hüttenwand, plaudernd Stille und Wärme tankend, und schliesslich die Zielgerade der Sonne auf die Sonntagsspitzen genau beobachtend um rechtzeitig vor der, der Nacht um Stunden voraus eilenden Kälte in die Hütte zu gehen, zu heizen und dann tatsächlich einen wärmeren Abend, eine wärmere Nacht zu verbringen.

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Der Sonntag war eine Bilderbuch-Skitour. Das Kratzen der Harscheisen auf der hart gefrorenen Aufstiegsspur am schattigen Morgen, der Gang durch die besonnten Hügel zum Litznersattel, der kurze Aufstieg mit den Skiern am Rucksack durch Blockgelände zum Sattelkopf, und vor Allem: kein Wind! Dann die Abfahrt über den Verhupfgletscher durch besten Schnee und weiter zum Vermuntsee. Tausend Höhenmeter über die Hänge hinab wie im Flug, Schwung um Schwung staubte der Schnee. Und was wäre das Ganze ohne die folgenden Bruchharschhänge, die zerfahrenen engen Waldgassen und den im Talschatten noch eisigen Forstweg, hinab bis ins frühlingshafte Partenen. Am Ende waren wir glücklich. Trotz zweijähriger Pause, trotz des bangen Gefühls, trotz des langsamen Schrittes und der schnellen Erschöpfung: Wir können es noch. Hinaus gehen, hinauf und hinab fahren, fliegen.

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