Eine teuflisch gute Geschichte: die Erstbegehung des Teufelsgrats am Täschhorn, erzählt von Mary Mummery, Ehefrau des am Nanga Parbat verschollenen Albert Frederick Mummery. Erstmals in Deutsch nebst vielen weiteren News und Olds zur Krone der Mischabel. Und zur Feier 150 Jahre Erstbesteigung Täschhorn.
„Plangemäss brachen wir am 15. Juli 1887 von Zermatt auf, um in der höchst gelegenen Alphütte zu übernachten. Damals war die Täsch Inn noch ein unvorstellbarer Luxus. Wir verbrachten einen fröhlichen Nachmittag auf der Täschalp. Einige Freunde, die fanden, es wäre eine gute Gelegenheit, einen Sonnenaufgang zu sehen, waren mitgekommen, und – sehr interessiert an unserer Expedition – genossen mit uns die ausgelassene Stimmung. Wir sorgten bei verschiedenen Tieren der Gegend für grosses Erstaunen, indem wir in ihre Domäne einbrachen. Im Verlauf des Nachmittags unternahm ein wütender Stier mehrere Versuche, uns zu ermorden, und es gelang ihm schliesslich, die ganze Gruppe inklusive Führer und Touristen auf das Dach der Alphütte zu jagen. Endlich wurde, als wir anfingen, unseren Hochsitz unbequem schmal zu empfinden, ein allgemeiner Ausfall befohlen, und mit lautem Schreien und heftigem Schwenken von Pickeln und Hüten gelang es uns, das Biest zu vertreiben, so dass es brüllend die Alp hinunter rannte.
Als das letzte Glühen der untergehenden Sonne am Weisshorn verblichen war, zündeten wir unsere Kerzen an und verwandelten die Alphütte in einen Ballsaal. Er mass nur etwa 11 Quadratmeter und war gefährlich wegen der tiefhängenden Decke mit ihren unvorhersehbaren Balken. Trotzdem hatten wir einen tollen, durch Lieder von Führern und Trägern bereicherten Tanzabend. Andenmatten, unser zweiter Führer, hatte sogar ein eigenartiges und wunderbares Musikinstrument dabei, dem mit viel anstrengendem Blasen rassige Tanzmusik und andere unbestimmbare Melodien zu entlocken waren. Nachdem die abendliche Unterhaltung mit der obligaten Diskussion über das Wetter zu Ende gegangen war, begaben wir uns zu unserem Lager und versuchten zu schlafen. Aber die Bretter waren hart und die Decken rau; wir fanden alle keine Ruhe, und unsere Laune wurde immer gereizter, als gegen elf Uhr ein kräftiges Poltern an der Tür zu hören war, gefolgt von einem grauenhaften Gebrüll. Alle schossen auf, griffen nach Eispickeln und Fernrohren, Stöcken und genagelten Schuhen, die wir als Waffen gegen das Monster einsetzen und es umbringen oder zumindest in die Flucht schlagen wollten, das unsere Festung anzugreifen gewagt hatte. Dann sprang die Tür auf, und wir stürzten uns laut schreiend hinaus. Vor uns stand erneut unser alter Feind, der Bulle. Als er der Schlagkraft und Wut seiner Angreifer gewahr wurde, ergriff er unter beleidigtem Schnauben und Grummeln, das von den Felsen als Echo widerhallte, die Flucht.
Wir nahmen diesen Vorfall als willkommenen Vorwand, um alle Schlafversuche aufzugeben. Bald begannen wir die Vorbereitungen für den Aufbruch, und um 1 Uhr 30 waren wir bereit.“
Bereit für eine der ganz grossen Bergtouren im 19. Jahrhundert: die erste Begehung des Südwestgrates des Täschhorns, besser bekannt als Teufelsgrat, weil der längste und schwierigste Grat an diesem stolzen Gipfel. Mit dabei waren das englische Paar Mary und Albert Frederick Mummery sowie die Walliser Bergführer Alexander Burgener und ein leider unbekannter Andenmatten, der vielleicht aber mit dem Saaser Führer Franz Anthamatten identisch ist. Begann die Tour schon mit der Übernachtung in einer Alphütte auf der Täschalp ja ziemlich aufregend, so sollte die Kletterei über all die teuflisch brüchigen Türme des Teufelsgrates dramatisch werden, zum Glück aber nicht so enden. Trotz Stürze und Verletzungen stand die Viererseilschaft um 17 Uhr 30 auf dem Gipfel. Der Abstieg nach Randa hielt freilich neue Überraschungen bereit, um 5 Uhr 30 kam man endlich im Dorf an.
Dass die erste Begehung des Teufelsgrates am 16. Juli 1887 zu den Schüsselstellen der Alpinismusgeschichte gehört, liegt auch daran, dass mit Mary Mummery eine Frau mit von Partie war. Erstbesteigungen und Erstbegehungen durch Frauen waren im Goldenen und Silbernen Zeitalter des Alpinismus eine rare Sache. Der Exploit am Teufelsgrat ist aber noch umso bemerkenswerter, weil Mary Mummery auch den Bericht schrieb. Er fand Aufnahme in Mummerys Klassiker „My Climbs in the Alps and Caucasus“; das Werk erschien 1895, im Jahr, in dem Mummery am Nanga Parbat verschwand. Das Buch wurde ins Französische, Italienische und Spanische übersetzt. Und auch ins Deutsche, allerdings ohne das Teufelsgrat-Kapitel von Mary Mummery – die Gründe für diese Unverschämtheit kenne ich nicht.
Doch jetzt lässt sich die lange Teufelsgratgeschichte schon bald auf Deutsch lesen: in leicht gekürzter Form in der Monografie „Dom & Täschhorn – Krone der Mischabel“, in voller Länge auf www.caroline-fink.ch.
Die Vernissage des Buches findet am Samstag, 30. Juni 2012, um 17 Uhr in der Mehrzweckhalle Täsch statt. Und zwar im Rahmen der Jubiläumsfeier „150 Jahre Erstbesteigung Täschhorn“. Am 31. Juli 1862 erreichte eine englisch-schweizerische Seilschaft erstmals den 4491 Meter hohen Gipfel. Er ist der achthöchste der Schweiz und durch einen wild gezackten Grat verbunden mit dem Dom (4545 m), dem höchsten ganz im Lande liegenden Berg.
Daniel Anker, Caroline Fink, Marco Volken: Dom & Täschhorn – Krone der Mischabel. AS Verlag, Zürich 2012, Fr. 54.–