Es ist Mitte Januar und hat Schnee. Jetzt muss ich mich aufraffen und los auf eine erste Skitour der Saison. Doch wohin? Verbindungen für Züge und Busse im Internet geschaut, so vieles ist möglich… Warum nicht einfach von der Haustüre los? Dort ist zwar keine „offizielle“ Skitour aber Schnee, das entscheidende Kriterium, ist da.
Morgens liegt Berschis, wo ich derzeit wohne, im Nebel. Hier, auf etwa 450 Meter Meereshöhe, wo mein Nachbar ein Weinbauer ist und eifrige Gartenbesitzer Pälmchen hegen, bin ich auch nach gut einer Woche mit vierzig Zentimetern Schnee und meist Sonne noch der erste, der eine Skispur legt. Ob sie wohl auffällt? „Lueg do“, heisst es vielleicht am späten Vormittag, „einer ist mit den Ski los!“ Wohin der wohl wollte?
Die Spur schlängelt sich in den Wald, bald aus dem Nebel heraus und folgt dem Fahrweg nach Sennis. Auf der tief verschneiten Wegtrasse steigt sie den Südhang überm Seeztal hinauf und überwindet mit ihr die Waldfelswände. Und in den lichten Wäldern, zwischen den Baumgruppen der Alpweiden von Malun, steige ich an der Spitze meiner Spur durch eine stille, glänzende Welt. Es ist berauschend schön und still. Von manchen Zweigen hängen Eiszapfen, in denen sich das Sonnenlicht zu Farben bricht, und zwischen den Bäumen hindurch öffnen sich immer wieder Blicke auf die Hohen Südwände von Fulfirst und Alvier. Auch sie, die gewöhnlich ihr Winterkleid rasch wieder abstreifen, sind noch tief verschneit. Die abgespaltenen Gauschla, vom Anstieg gegen „D´Muur“ schlank im Profil zu sehen, ist so vereist, dass sie an Kalenderbilder patagonischer Extremgipfel erinnert. Hier kommt jedenfalls hin, wer sich in Berschis der Spur anvertraut, ihr kilometerlang folgt und die Kurven nimmt, die ich ins weite Winterweiss schrieb. Ein Schild müsste man dort aufstellen, denke ich, auf dem „Ins Märchenland“ steht.
Mit dem weniger Werden der Bäume kommt Wind auf, Ostwind, wohl eine Art Bise und scharf, schneidend, Schneefahnem aufnehmend, Schneeströme um meine Beine treibend wie reissende Wasser, die manchmal so tief werden, dass sie mir wie mit kalten Nadeln bis übers Gesicht sprühen. Und sie erodieren den Schnee, fressen tiefe Rinne in die Osthänge und überschütten die Westhänge neu. Häufiger bricht meine Spur in zugewehte Löcher, mühsam wird es. Vielleicht doch besser kein lockendes Schild am Dorfrand…
Über Palfris erreiche ich die Skiroute auf den Tschuggen, lasse aber im Sturmwind, der den Rücken hinauf fast blank gefegt hat, den Gipfel rechts liegen und widme mich sogleich der Abfahrt. Zwischen den vielen Spuren einer Woche finden sich noch immer Inseln für stiebende Schwünge. Weiter unten bleibe ich öfter stehen und halte Ausschau nach einem Abzweig in die Waldränder zur Rechten. Schliesslich will ich nicht mit den Spuren bis nach Azmoos hinab, sondern nach Sargans an den Bahnhof. Die Spur, die ich irgendwann entdecke, ist nur von Fussgängern, und leider fehlt es ihr an Gefälle. Doch sie führt und entlässt mich schliesslich auf Wiesen mit nach unten sich verdichtenden Höfen, von wo aus der Fernbahnhof im Tälerdreieck bereits zu sehen ist.
Als ich zwischen den Höfen das dritte Mal die Zufahrtsstrasse quere, bleibe ich auf ihrer Talseite ratlos stehen. Im Hang unter mir erblicke ich auf den nächsten hundert Metern schon mindestens drei Zäune. Von rechts kommt ein Fahrweg mit hartgepresstem Schnee, der anscheinend zu einem Hof wenig unterhalb führt. Man sieht nicht, ob es eine Sackgasse ist, und zurück hiesse wieder aufsteigen müssen. Unschlüssig überlege ich noch hin und her wie es wohl weitergehen sollte, als zwei Kinder, wohl auf dem Nachhauseweg, den Fahrweg heraufgeschlendert kommen. Das Mädchen, sie ist die ältere, vielleicht sieben, vielleicht neun, bleibt stehen und mustert mich langsam vom Scheitel bis zu den Skispitzen. Als sie dort angelangt ist, entfährt ihr ein strahlendes „ei cool!“ Da bricht das Eis im stundenlangen Einzelgänger und ich traue mich zu fragen, ob denn nach einem Stück des Fahrweges wieder Wiesen kämen, über die man ins Städtli hinabfahren könne. „Ja klar, geht super!“, ist die begeisterte Antwort. Und tatsächlich, hinter einer Wegbiegung und einem weiteren Hof gleite ich links zaunlos hinab und schliesslich hart an ein paar Reben vorbei bis in die Wohngebiete hinein, bis zwischen gebahnten Strassen, Gartenzäunen und Schneehaufen kein Platz mehr für die Ski zu finden und es zum Bahnhof nur noch ein Katzensprung ist.