Ein eigen’ Kerl

Den Samichlaus gibts, ich schwörs. Er hat mir früher mit der Fitze auf die Finger gehauen, weil ich Nägel kaute. Heute kaue ich keine Nägel mehr, würde aber gerne wieder, damit ich dem Samichlaus zeigen könnte, dass die Fitze nichts gebracht hat. Mein eigener Samichlaus ist ganz anders. © Annette Frommherz

Er wachte auf, weil ein lautes Schnaufen nah an sein Ohr drang. Und wie er die Augen aufschlug, sah er sein Eselchen, das ungeduldig mit den Hufen scharrte. Sein Atem blies ihm Wölkchen vor die Augen. Es ist gut, Elsi, sagte er, und es war gut.
Gestern Abend hätte er zu den Kindern gehen sollen. Daran erinnerte sich der Chlaus gleich beim Aufstehen, und die kalten Glieder streckte er gegen die niedere Decke der Hütte. Kurz vor dem Strässchen, das zum Gemeindesaal geführt hätte, wo sie erwartet wurden, hatte er Halt gemacht und zu Elsi gesagt, dass sie eigentlich auch mal so einen Sack mit lauter feinen Sachen verdient hätten. Elsi hatte die Ohren gespitzt. Es hatte nichts dagegen und trottete artig neben ihm her. Sie wählten das Strässchen, von wo aus sie niemand sehen konnte, und nach der Holzbeige verschluckte sie die Dunkelheit der Nacht.
Lange liefen sie nebeneinander, der Schnee reichte dem Chlaus bald knie- und dem Eselchen knöcheltief. Das machte ihnen nichts aus, denn sie sahen die Sterne am Himmel und den Berg vor sich, der sich wie ein mächtiger Schatten zum Schutze anbot. Da wollen wir hin, Elsi, und der Chlaus zeigte auf den drittobersten Rücken des Berges. Dort, man sah es von hier nicht, stand die Hütte, den ganzen Winter durch allein.
Den Herd im kalten Raum brauchten sie nicht. Der Chlaus leerte den ganzen Sack voller Köstlichkeiten auf dem Boden aus, Elsi knackte die Nüsse mit den Hufen, und sie taten sich gütlich. Der Chlaus sagte ab und zu hohoo, mit vollem Munde zwar, aber das störte das Elsi nicht. Es hatte die Mandarinen entdeckt, von denen es nie geahnt hätte, dass sie so gut schmeckten. Der Chlaus hatte ihm zwei davon geschält und Schnitzchen für Schnitzchen ins Maul geschoben. Die Lebkuchen teilten sie schön auf, wie es sich gehört, und die Zimtsterne überliess das Elsi dem Chlaus, weil es den Kopf arg hatte schütteln müssen, nachdem es einen probiert hatte.
Jetzt war ihnen etwas kalt an diesem Morgen, mit den noch immer vollen Bäuchen. Zum Glück hatte der Chlaus einen dichten Bart und das Eselchen ein dickes Fell, so dass sie sich das Heizen sparen konnten. Sie wollten nicht auffallen unten im Dorf, wo man sie im Gemeindesaal sicher vermisst hatte, und sie sich jetzt mit Rauchschwaden vielleicht verraten hätten. Chlaus und Eselchen schauten durch das vereiste Fensterchen hinüber an die weissen Bergketten, und just als sie fein säuberlich Erdnüsschen, Lebkuchen und Chräbeli zum Frühstück auftischen wollten, liess die aufgehende Sonne den Schnee auf dem Fenstersims glitzern.
Ein schlechtes Gewissen hatte der Chlaus nicht. Auch das Eselchen tat nicht so, als hätte es ein Gewissen, das schlecht zu sein hätte. Eigentlich konnten alle zufrieden sein. Das Dorf unten hatte eine neue Sage; die vom verschwundenen Chlaus samt Eselchen. Und der Chlaus samt Eselchen hatte ein neues Leben, frei von Pflichten und Versli und artigen Kindern, die keine Fitze brauchen.
Wer sommers auf eine Hütte kommt und sie scheint unbewartet, der sollte genauer hinschauen. Vielleicht kommt ihm ein alter Mann mit einem langen, filzigen Bart entgegen, sagt hohoo, und hinter ihm trottet zufrieden ein Eselchen.

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