Einmal begann ich in Weisstannen, stieg mit den Ski auf sonnig milder Südseite zur Madfurggel auf und fuhr im herrlich pulvrigen Schnee der Nordseite fast bis nach Flums hinab. Das machst du nochmal, dachte ich eine gute Woche später, dieses Mal über den nächsten Pass. Doch dort kam es anders.
Noch im Schatten stieg ich hinter dem Dorf das Tal hinein, dann hinauf zur Alpe Obersiez, wo auf einmal die gemütliche Spur, der ich folgte, in die andere Richtung lief. Vor mir, zu meinem Pass hin, lagen einsam ein Hang, dann ein Couloirartiger aber breiter Durchschlupf, dann ein Hochtal. Alles in der prallen Sonne. Der blendende Schnee war weich und tief. Ich schwitzte. Und ich freute mich auf die Rast, oben, noch in der Sonne, und auf den Pulverschnee der Schattenseite.
Es kam anders.
Später, im Werdenböll, hinterstes Schillstal, sitze ich unter ein paar Tannen auf einem aperen Fleck, zwei Meter vor mir die junge Schils, die plätschert. Geistesabwesend beobachte ich amöbenförmige Luftblasen, die von Zeit zu Zeit unter dem Eis hindurchhuschen, das vom Rand bis halb zur Bachmitte reicht. Mir ist kalt. Ich bin erschöpft. Die Skitour war lang, ist noch nicht zu Ende. Der Schnee war schlecht, Windharsch, knietief, achthundert Höhenmeter. Einmal brachte mich ein zugewehter Block zu Fall. Nach prallem, tief sulzigem Sonnenaufstieg, alles verschwitzt, war nahe der Höhe, bei plötzlich eisigem Wind, keine Pause. Alles dauerte viel zu lange und das Trinken war zu wenig, ist längst aus. In meine Jacken gehüllt sitze ich in der Sonne auf dem aperen Fleck unter den Tannen und friere noch immer. Meine Kehle ist durstig, trockener Hustenreiz bei tiefem Luftzug. Das Plätschern der Schils jagt mir frostige Schauer über den Rücken. Wie eisig muss dieses Wasser sein, dass Luft in Amöben unter Eisränder treibt, wie brennend kalt? Bräche ich hinein, die Kleider nass, finge ich unmittelbar schweres, triefendes Feuer, das mit stichflammenartig raschem Griff mein Herz umschliessen würde, so fest, dass ihm kein atmen mehr möglich wäre.
Tödliches Wasser.
Tödlich hätte Wasser schon bei der Abfahrt sein können. In seiner trockenen, gebundenen, vom Wind aufgenommenen und wieder abgelagerten Form.
Guten Mutes war ich von der Fansfurggla in die zunächst flachen Hänge gefahren, in lockeren Schnee, der so tief war, dass ich darin bald zum Stehen kam, woraufhin ich schob, erneut schwitzte, diese Mal im kalten, schattigen Wind, der den lockeren Schnee um mich auf und an mir vorbei, schneller als ich mich schieben konnte, vor mir her trieb, das ganze lange, leicht fallende Plateau entlang. So erreichte ich umtanzt die Kante und blickte hinab in den Steilhang, in den hinein der Wind all die Schneefahnen, die er auf der Hochfläche aufgehoben und an die Hand genommen hatte, wie ein untreuer Gefährte wieder fallen liess. Windschnee hatte sich seit Stunden über den nordseiteigen Steilhang gelegt, den ich abfahren wollte. Auf den ich gehofft hatte, ich, der hier weit und breit alleine war, und der niemandem gesagt hatte, wohin ich ging.
Windschnee im Steilhang ist Schneebrettschnee. Was ich vorhatte, war unmöglich. Noch weniger aber wollte ich die ganzen Strapazen zurück. Deshalb schloss ich die Augen und stiess mich ab, schnitt quer in den Hang und schwang schwer im tiefen, kompakten, über hunderte Höhenmeter von der fegenden Luft marmorierten Weiss, das hielt. Es war gut gegangen. Achthundert Höhenmeter Hoffen und Bangen, kräftezehrendes Stemmen, bis hinab zum aperen Fleck an der Schils, wo wieder ein kleiner Punkt Sonne war, in dem ich mit trockener Kehle fror, der aber auch ein kleiner Fleck ohne trockenes oder nasses, ohne tödliches Wasser war.
Als ich mich endlich aufraffte, fand ich wenig später eine harte Spur das Tal hinaus. Während des leichten Gleitens in die Tiefe wurde die Sonne wärmer, fast frühlingshaft, und meine Kraft kehrte zurück. Was lag hinter mir? Ein Pass zwischen Weistannental und Schilstal, nichts weiter. Kein dramatischer Schneesturm, keine dünne, eisige Höhe. Und doch war da, bedrohlich, für kurze Zeit ein kalter Hauch um mich gewesen.