Heute einmal nicht in den Bergen, sondern auf dem Velo im flachen Land. Mit schweren Gedanken im Gepäck.
Mit dem Velo fahren wir über Land, Kirchglocken klingen, der Himmel wolkenlos, die Berge blau und fern. Wie wir so dahingleiten und die Gedanken dahintreiben, fällt mir ein ebenso schöner und friedlicher Sonntagmorgen ein, und ich rechne und es ist fast auf den Tag genau 65 Jahre seither. Sommer, Sonne, die Berge im Blau. Auch meine Mutter stieg damals aufs Velo, die Kirchglocken klangen, sie musste sich beeilen um rechtzeitig zum Gottesdienst ins Nachbardorf zu kommen. Ich konnte nicht mitfahren, wie so oft hinten auf dem Gepäckträger, ich musste oder durfte zur Sonntagschule ins Dorf.
Meine Mutter war eine tüchtige Bergwanderin, eine starke Bergbauerntochter, eine tüchtig Fabrikarbeiterin. Ich erinnere mich an gemeinsame Wanderungen auf die Chrüzegg oder im Glarnerland auf Mettmen und zu Verwandten auf die Braunwaldalp. Ein bisschen übermütig sei sie manchmal gewesen, sagte mein Vater, er habe sie einmal im Durnachtal aus den Felsen herunterholen müssen. Sie habe einfach gerade hinuntergewollt, obwohl er wusste, dass da kein Weg war. Ein schönes Foto zeigt die beiden auf einer Bergwanderung zur Claridenhütte mit Stöcken und groben Schuhen und meine Mutter in einem fast eleganten Kleid mit Jäcklein und Rock. Was für eine schöne junge Frau sie doch war. Als Kind ist man sich das gar nicht bewusst.
Nun also, an jenem schönen Sonntag hatten wir keine Wanderung vor, Vater war in Frankreich in den Ferien. Es war übrigens der 29. Juli, der Tag, an dem Hugo Koblet als Sieger der Tour de France mit grossem Vorsprung in Paris einfuhr. Ein historischer Velotag also.
Meine Mutter stieg auf ihr neues Velo, das keinen Rücktritt mehr hatte, wie das alte, sondern Übersetzungen. Sie fuhr hinab ins Dorf und an der Einmündung zur Landstrasse krachte sie in ein grosses schwarzes Auto, das in gemächlichem Tempo daherfuhr, am Steuer ein Bäckermeister und neben ihm seine Geliebte. Sie hatte wohl mit dem Rücktritt bremsen wollen, vermutete man später, sei sich noch nicht ans neue Velo gewöhnt gewesen.
Nun, diese Geschichte habe ich so oft schon erzählt, sie füllt ein ganzes Buch (Lebensgefährlich verletzt). Heute an diesem schönen Sonntag ist es wahrscheinlich genau 65 Jahre her seit der Beerdigung meiner Mutter.