Einsame Bergspitze in Dortmund

Wintersport im Ruhrgebiet? Aber sicher! Mit einer Ausstellung zum Thema Après-Lift im berühmten Dortmunder U. Und mit der längsten Skihalle der Welt.

«Lost Ski Area Projects (LSAP) bezeichnen Forschungsprojekte, die sich mit stillgelegten und verlassenen Skigebieten befassen. Häufig bleiben in diesen Skigebieten die abgestellten Liftanlagen und geschlossenen Bergrestaurants für Jahre stehen. Dieser Anblick kann etwas Gespenstisches wie etwas wundersam Schönes an sich haben. Viele solcher Lost Places haben einen jahrzehntelangen Prozess durchlaufen: Sie sind mit großen Visionen geschaffen worden, oft sehr persönlichen Träumen entsprungen. Sie haben intensive Planungs- und Aufbauphasen, Krisen und Rettungsversuche hinter sich, bis schließlich die Entscheidung fiel, sie stillzulegen. Das gilt für verlassene Skigebiete in der Schweiz wie für Zechen und Stahlwerke im Ruhrgebiet.»

So begrüsste Dr. Nora Becker die Gäste an der Eröffnung der Ausstellung «Einsame Bergspitze. Lost Places in den Alpen und ihre Menschen» auf der Hochschuletage im Dortmunder U. Die gemeinsam mit Prof. Christoph Schuck vom Institut für Philosophie und Politikwissenschaft der Technischen Universität Dortmund kuratierte Ausstellung zeigt stillgelegte Skigebiete in der Schweiz und rückt dabei die vom Strukturwandel betroffenen Menschen in den Mittelpunkt.

Das Team von Schuck hat in einer Datenbank alle je dokumentierten Skigebiete und einzeln stehenden Tallifte in der Schweiz erfasst – über 40 Prozent sind mittlerweile verschwunden. Gründe dafür sind neben dem Klimawandel auch ein rückläufiger Wintersport-Trend und mangelnde Rentabilität. Wissenschaftlich begleitet wurde die Konzeption der Ausstellung durch das Seminar «Politik und öffentlicher Raum: Einsamkeit und Strukturwandel», in dem sich Studierende mit möglichen Darstellungsformen für das Thema Einsamkeit auseinandergesetzt haben. Zu sehen sind in der Ausstellung unter anderem auch Exponate des Alpinen Museums der Schweiz; ALPS zeigte im Winter 2022/23 «Après-Lift. Skiberge im Wandel». Jetzt sind die einsamen Skiberge also in der Metropole des Ruhrgebietes zu erleben, und das noch bis am Sonntag, 24. November 2024.

Was lesen wir auf der Reise nach Dortmund? Zwei Empfehlungen. Erstens «Das Erbe der Alpen. Was unsere Bergwelt bedroht und warum wir sie retten müssen» von Felix Neureuther. Skifahren konnte er wie kaum ein anderer deutschen Rennläufer. Nun kurvt er zusammen mit Michael Ruhland ebenso elegant und engagiert durch die schwierige und bedrohte Gegenwart der Alpen und zeigt, was besser werden könnte – ja muss. Dazu besuchte Neureuther viele Fachpersonen, um mit ihnen Gespräche zu führen, so beispielsweise zum Thema, ob es nachhaltiges Skifahren überhaupt geben kann. Ausschnitt: «Ich treffe mich Anfang Dezember mit Michael Pröttel am Hausberg in Garmisch-Partenkirchen. Pröttel ist Autor für verschiedene Bergmagazine, selbst leidenschaftlicher Skitourengeher und engagiert sich seit vielen Jahren für die Umweltschutzorganisation ‹Mountain Wilderness› Zuletzt mit einer Aktion an der Talstation des Hausbergliftes, wo er und seine Mitstreiter mit Lebensmittelfarbe in der Nacht ein Peacezeichen auf die Skipiste sprühten, um in den Zeiten der Energie- und Klimakrise ein Mahnmal gegen die Energieverschwendung durch Schneekanonen zu setzen Bis zu 40 Millionen Kilowatt stunden Strom könnten in einer Wintersaison eingespart wer den, wenn nur die bayerischen Skigebiete auf das Beschneien verzichteten Das entspricht in etwa dem Jahresverbrauch von 25 000 Bundesbürgern Als ich ihn auf die enorme wirtschaftliche Bedeutung des Skisports für meine Heimatgemeinde anspreche, zieht er einen Vergleich, der noch lange in mir nachhallt. ‹Wie bei der Kohle in Nordrhein-Westfalen geht es in vielen Wintersportorten um einen tiefgreifenden Strukturwandel. Skifahren unterhalb von 1500 Metern hat auch mit Schneekanonen keine dauerhafte Chance›, sagt Pröttel und ich weiß, dass er einen wichtigen Punkt trifft.»

Und zweitens «Pouvoir et emprise du sport. Pour une histoire croisée du tourisme et du sport depuis le XIXe siècle». In diesem wissenschaftlichen Reader befassen sich 18 Beiträge zum Thema Macht und Einfluss des Sports. Von den englischen Pionieren des alpinen Skisports im Berner Oberland zu den avantgardistischen Touristen, die mit dem Fahrrad die Straßen Europas erkunden; von den ersten Seilbahnen auf den Gipfeln des Engadins zu den Anfängen der Politik der sportlichen Freizeitgestaltung und der Raumplanung zu touristischen Zwecken; von den Hügeln Québecs zu den Meeresküsten des Finistère: Zu Fuss, auf Ski, mit dem Fahrrad oder dem Auto ausgeübt, kreuzen und begegnen sich Sport und Tourismus im Laufe von zwei Jahrhunderten Geschichte. Caterina Franco erläutert die Pläne für Skistationen am Reissbrett in den französischen und italienischen Alpen in der Zwischenkriegszeit; Grégory Quin deckt auf, wie Milliardäre im Oberengadin Skipisten bezahlten. Claude Hauser zeigt, wie schweizerische Skispuren bis in die Laurentian Mountains reichen. Dagegen nimmt sich die Skigeschichte im Ruhrgebiet bescheiden aus. Immerhin: An der Halde Prosperstrasse in Bottrop wurde die längste Skihalle der Welt gebaut. Die gedeckte Kunstschneepiste ist gut 600 Meter lang und knapp 100 Meter hoch – da lässt sich bei -4° bestens carven. Alles Weitere hier: www.alpincenter.com/bottrop/de/skihalle.

Die Ausstellung «Einsame Bergspitze – Lost Places in den Alpen und ihre Menschen» ist bis zum 24. November auf der Hochschuletage im Dortmunder U zu sehen. Die Ausstellung kann zu den Öffnungszeiten des Dortmunder U besichtigt werden; Montags geschlossen. Der Eintritt ist frei. https://dortmunder-u.de/event/einsame-bergspitze-lost-places-in-den-alpen-und-ihre-menschen/

Felix Neureuther: Das Erbe der Alpen. Was unsere Bergwelt bedroht und warum wir sie retten müssen. Gräfe und Unzer Verlag, München 2023. Fr. 35.90.

Claude Hauser, Gil Mayencourt, Sébastien Cala, Anna Amacher Hoppler (Ed.): Pouvoir et emprise du sport. Pour une histoire croisée du tourisme et du sport depuis le XIXe siècle. Editions Alphil, Neuchâtel 2024. Fr. 39.-

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