Eiskalte Krimis

Winterkrimis, wenn mitten im Frühling der Sommer vor der Türe steht: Das sorgt für (tödliche) Spannung.

«Aus der Silvaschlucht stieg ein feiner Nebel herauf, doch er war anders als der eiskalte Nebel des Winters. Er brachte den ersten Duft des Frühlings mit, den Duft der Blumen, die die Erdkruste zu durchstoβen begannen und zum Licht strebten. Auch das Wasser war nicht mehr unbeweglich wie vor einigen Wochen noch, es gurgelte, sprudelte und sprang inzwischen wieder munter über die Steine. Schnee- und Eisreste fanden sich nur noch an Stellen, wo die Sonne nicht hinkam. Der Winter war wie eine geschlagene Armee auf dem Rückmarsch.»

Allerhöchste Zeit, auf vier winterliche Krimis hinzuweisen, jetzt, wo der Frühling voll da ist, wo gar der erste Sommertag mit 25°C im Schatten angekündigt ist. Die Alpen leuchten zwar noch tief verschneit, ja sogar an hohen Juragipfeln glitzern letzte weisse Südhänge. Was gibt es da Wärmeres, als auf der Terrasse, im Garten oder im Park an der Sonne zu liegen – und zu lesen? Zum Beispiel den Thriller „Eiskalte Hölle“ von Ilaria Tuti. Im Original heisst er „Fiori sopra l’inferno“, was besser zum Frühling passte, wenn da nicht dieses einsame Dorf irgendwo in den winterlichen Bergen Norditaliens wäre, an dessen Rand „der mit Raufreif überzogene Körper“ lag. Wer das ist, warum er dort liegt, was für grausame Geschichten sich dahinter verbergen, wie Teresa und Massimo die Fragen unter Einsatz ihrer Leben beantworten: Das sei hier nicht verraten. Nur so viel – der Epilog auf Seite 409 beginnt so: „Aus der Silvaschlucht stieg ein feiner Nebel herauf.“

„La route coupée“ ist der zweite Skikrimi von Guillaume Desmurs. Er spielt wiederum in einer fiktiven Station in den französischen Alpen, die von den 1960ern Jahren inspiriert ist, mit gigantischen Gebäuden und unheimlichen Gängen. Und diesmal mit einer Zufahrtstrasse, die von einer gigantischen Lawinen verschüttet wird, so dass der Ort von der Umwelt abgeschieden bleibt. Und dann passieren Morde. Wir kennen das: ein Zug, der stecken bleibt; ein Hotel, aus dem es kein Entrinnen gibt; ein Toter oder eine Tote, und der Mörder, die Mörderin ist unter den Eingeschlossenen zu finden. Nur ist es diesmal ein ganzes Dorf. Da haben der phlegmatische Allgemeinmediziner Marc-Antoine und die ehrgeizige Journalistin Alix alle Hände voll zu tun. Diese stecken in Handschuhen, denn es ist kalt in Pierre-Fontes, verdammt kalt.

In welchem Skiort Nancy Spain ihren 1949 erstmals publizierten Skikrimi „Death Goes on Skis“ angesiedelt hat, konnte ich leider nicht herausfinden. Das Dorf Kesicken, wo die Story um tödliche Familienfehden hauptsächlich spielt, hört sich nicht berner oberländisch an, Mönchegg, wohin eine Zahnradbahn fährt, und Lavahorn, erschlossen mit einem Lift, schon eher. Die Einheimischen sprechen deutsch, das Zimmermädchen wird Trudi gerufen, aber die Region oder das Land hat die Autorin „Schizo-Frenia“ genannt. Never mind. Wir bleiben dran und nehmen teil am Skirennen: „The course started on a little plateau on the top of the Lavahorn, shot over an almost perpendicular precipice and turned abruptly to the left over a shelf of frozen rock.“ Könnte doch der Hundschopf sein, zumal dann noch die Wasserstation nahe der Zahnradbahn passiert wird? Zum Rätsel, warum Regan Flaherté und ein zweiter Gast starben bzw. sterben mussten, gesellt sich dasjenige zum Playground dieses urenglischen Hotels-Ski-Kriminalromans. Etwas aber ist sonnenklar: „The weather was glorious. There was nothing to do but ski and eat and sleep.“

Und lesen, of course! Zu einem Zacken Toblerone als Zwischenverpflegung auf dem Sesselift oder als kleine Nachspeise vor dem Kaminfeuer passt der Winterkrimi-Erzählband „Todlerone“ von Stefan Haenni. In der gleichnamigen Geschichte wird das Aufrichten eines zu grossen Weihnachtsbaumes in der Wohnung von Studenten der Uni-Tobler ziemlich blutig. In „Schreckalp“ gerät ein belgisches Rentnerpaar an die Grenzen des Zusammenlebens bzw. darüber hinaus, und das nicht bei der geplanten Schneeschuhtour auf der Lombachalp bei Habkern, sondern schon bei der Autofahrt dorthin. Und dann liegt da noch die „Gefahrenzone“ in einem Walliser Bergdorf: „Der ursprüngliche Schutzwald aus alten Bergföhren ist wegen der globalen Erwärmung gröβtenteils verdorrt und deshalb ausgedünnt. Den langen Trockenperioden im Sommer sind die Nadelhölzer nicht mehr gewachsen.“ Am schönsten sind doch Frühling und Herbst, wenn es weder eiskalt noch brühwarm ist. In diesem Sinne: frohe Ostern!

Ilaria Tuti: Eiskalte Hölle. Penguin Verlag, München 2019, € 10.-

Guillaume Desmurs: La route coupée. Neige noire, Éditions Glénat, Grenoble 2021, € 15.-

Nancy Spain: Death Goes on Skis. Virago Press, London 2020, £ 9.-

Stefan Haenni: Todlerone. Winterkrimis. Gmeiner Verlag, Meβkirch 2020, € 15.-

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert