Am Everest für tot erklärt, mit Nomaden in Afghanistan gelebt, Hüttenwart im belgischen Kletterparadies Freÿr – gewiss ein spannendes Werk, mit dem uns unser sprachgewaltiger Rezensent die Finger kribblig macht. Hoffen wir auf eine gute deutsche Übersetzung. Zum Klettern in Freÿr genügt wohl unser Schulfranzösisch.
«J’avais 19 ans, je n’avais jamais quitté la Belgique, et mon temps s’était passé dans le scoutisme et l’étude, et aussi dans les travaux nocturnes pour les payer, ces études. Voilà qu’un dimanche de Pâques, un de mes amis scouts, qui nous avait déjà initiés à la spéléo, nous entraîne à Freÿr pour gravir le Mérinos par la voie normale (sans la savonnette!). Quelle découverte! Moi qui avais déjà dévoré quelques récits de montagne, de cette montagne qui me paraissait totalement inaccessible, je découvrais soudainement qu’il est possible de grimper dans mon propre pays, à seulement deux heures d’auto-stop de chez moi! L’été suivant, en 1958, je décide de passer mes deux mois de vacances à Freÿr, en campant sur le plateau.»
So schildert der 1938 geborene Belgier Jean Bourgeois in einem Gespräch mit Jean-Louis Wertz, wie er zum Klettern gekommen ist. Nun hat der Ingenieur, Astronom, Ethnologe und Forschungsreisende Bourgeois seine lang erwartete Autobiografie veröffentlicht: ein auch alpinistisch erfülltes Leben, das ihn (und uns) weit über Freÿr in die ganze Welt der Berge hinausführt und doch immer wieder zu den berühmtesten Felsen von Belgien zurückbringt. Er hat das Klettern dort wie kaum ein anderer geprägt, zuletzt mit seiner Kolumne als Gardien du Refuge de Freÿr in «Ardennes & Alpes», der Zeitschrift des Club Alpin Belge. Kurz: das Urgestein des belgischen Alpinismus – und mehr.
Davon handelt sein nun erschienenes Buch «En quête de plus grand». Dieses Grössere fand Bourgeois zum Beispiel in Afghanistan, wo er zusammen mit seiner Frau Danielle das Leben der Nomaden geteilt, beschrieben und gefilmt hat. Und er fand es sicher, wenn auch ungewollt, als er Ende Dezember 1982 am Everest verschwand und anschliessend für tot erklärt wurde, weil man trotz langer Suche keine Spuren oder Nachrichten von ihm sichtete. Während des Aufstiegs von einem Lager zum nächsten, auf rund 6400 Metern, hatte sich Bourgeois schlecht gefühlt und trat den Rückweg an, seinem Begleiter versichernd, er könne den Weg zurück ins tiefere Lager ganz gut alleine bewältigen. Allerdings stellte sich ihm, der zunehmend an einem Höhenödem litt, ein happiger Wiederaufstieg dermassen in den Weg, dass er den Entscheid fasst, sofort über eine unbekannte, vergletscherte Flanke ins verbotene Tibet abzusteigen – eine rundum verrückte Idee. Wie Bourgeois nun diese Flucht vom Berg überlebte, wie er das Ödem und die gleichfalls lauernden Gletscherspalten überlistet, wie er zufällig ein verlassenes Alpinistencamp entdeckt und darin eine Trinkflasche, mit der er Schnee an der Körperwärme schmelzen kann, wie er mehr tot als lebendig Spuren von Yakhirten folgt, wie er von Tibetern gut und dann von den Chinesen etwas weniger gut aufgenommen wird, und wie er schliesslich zurück ins Leben und zurück zu seiner Frau findet, die von der Presse schon als Witwe des bekanntesten belgischen Bergsteigers befragt worden ist: eine höchst eindrückliche Lektüre.
Selbstverständlich hat Jean Bourgeois auch seinen Auftritt in der Ausstellung «Des Sentiers aux Sommets», die der Club Alpin Belge und die Sentiers de Grande Randonnée im Château de Freÿr à Hastière organisiert hat und die sich dem belgischen Bergsport in all seinen Facetten widmet. Da gibt es den Parcours von König Albert I., dem Roi alpiniste, dort die Überseekoffer von König Leopold III., wie sein Vater ein grosser Kletterer. Die jüngsten Erfolge belgischer Kletterer sind ebenso ein Thema wie der Klettersteig von Namur (vom Schreibenden gemacht und genossen). Im Mittelpunkt drinnen und draussen: das Kletterparadies Freÿr, mais bien-sûr. Das wär doch was für diesen halbbatzigen Sommer! Die Vernissage findet am 3. Juli 2013 ab 16 Uhr statt. Und die Ausstellung est ouverte au public le week-end des 6 et 7 juillet, ainsi que du 13 juillet au 4 août 2013, tous les jours sauf les lundis, de 11 à 17 heures (entrée gratuite).
Jean Bourgeois: En quête de plus grand. Une vie de montagnes et d’explorations, Éditions Nevicata, Bruxelles 2012, € 22.-