Bergführer und Schriftsteller, Poststellenleiter in Fex und Gemeindepräsident von Sils, Schulförderer und Umweltschützer: All das brachte Christian Klucker unter seinen Hut. Grund genug, seine hervorragend geschriebene Autobiografie neu aufzulegen.
„Im Laufe des Vormittags und während Norman-Neruda mit Dr. Tauscher und seiner Frau am Riffelhorn Kletterübungen vornahmen, studierte ich diese Lyskammnordwand in ergiebigem Masse. Um die Mittagszeit erschienen oben auf dem Gornergrat auch die drei Riffelhornbesteiger, und nach dem Mahle wurde vereinbart, dass wir zwei, mit Zuzug von Joseph Reinstadler, am nächsten Tag den Lyskamm vom Grenzgletscher direkt angehen.
Am 9. August [1890] gelang uns dieser sehr schwierige Aufstieg auf den Lyskamm, 4538 m. Ab Riffelberg morgens 130, Gipfel an 230 nachmittags, Riffelberg an abends 1000. Es besteht für mich kein Zweifel, daß wir diese kühne Fahrt durch eine der allergewaltigsten Eiswände nicht ganz aus den Gründen unternommen haben, die Norman-Neruda angibt, und daß allerlei anders verlaufen ist, als er erzählt.“
So steht es in einem Buch, das vor 80 Jahren erstmals erschienen ist und nun wieder vorliegt: „Erinnerungen eines Bergführers“ von Christian Klucker. Bergliteratur vorzustellen ohne dieses Buch, das wäre wie ein Reiseführer zur Schweiz ohne St. Moritz oder Zermatt. Denn Christian Klucker (1853-1928) aus dem Fextal beherrschte den Griffel fast so meisterhaft wie den Pickel. Obwohl er in seiner Autobiografie behauptet: „Am schwächsten blieb ich in der deutschen Sprachlehre.“ Stimmt nicht, wie sich in der von Emil Zopfi kenntnisreich edierten Neuausgabe nachlesen lässt.
Bergführer und Schriftsteller, Poststellenleiter in Fex und Gemeindepräsident von Sils, Schulförderer und Umweltschützer: All das brachte Klucker unter seinen Hut. Rund 3000 bestiegene Gipfel, 34 Erstbesteigungen (darunter 23 im Bergell), über 60 Erstbegehungen (zum Beispiel 1893 der Peutereygrat am Mont Blanc, die vielleicht grösste Grattour der ganzen Alpen) sowie ein Dutzend Wintererstbesteigungen – ein Palmarès, das allein Klucker einen Platz im Pantheon des Alpinismus gesichert hat. Und eben dieses Buch, das er im Alter schrieb, das zwei Jahre nach seinem Tod erschien und drei Auflagen sowie Übersetzungen ins Englische und Italienische erlebte. Nicht das erste Buch eines Bergführers. Aber eines, in dem ein Bergführer sich nicht scheut, seine Sicht der Bergfahrten zu schildern.
Wer also wissen will, wie zum Beispiel die erste Durchsteigung der 700 Meter hohen Nordostwand des Liskamm wirklich verlief, sollte dieses Buch lesen. Drei Tage übrigens nach der Liskamm-Tour veranstalteten Klucker und Norman-Neruda ein Abstiegsrennen vom Gipfel des Doms nach Randa – 2 Stunden 52 Minuten für 3100 Höhenmeter, wobei der Bergführer gewann.
Wer sich Christian Klucker alpinistisch nähern möchte, hat verschiedene Möglichkeiten, vor allem im Bergell. An der Cima di Rosso gibt es eine Kluckerroute, am Badile das Kluckercouloir, in der Nordwestflanke des Monte Rosso-Nordostgrates der Kluckerturm (2860 m), ein 200 m hoher Felsturm. Auch der Grosse Gendarm (3870 m) im Nordostgrat des Obergabelhorns wird manchmal Kluckerturm genannt, obwohl ihn Klucker und Ludwig Norman-Neruda bei der Erstbegehung des heutigen Normalaufstieges von der Wellenkuppe aufs Obergabelhorn nicht überkletterten, sondern umgingen. Die Tour fand am 1. August 1890 statt.
Christian Klucker: Erinnerungen eines Bergführers. Einführung von Emil Zopfi, AS Verlag, Zürich 2010, Fr. 29.80