Placca di Mu, Finale. Auf den Spuren der Droge Fels.
Mein Glück misst zwanzig Meter, grauer fester Fels mit vereinzelten Löchern wie Emmenthaler Käse, 6a+ und drei Sterne. Ein Muss. Oder Mus. Denn der erste Haken steckt hoch, sehr sehr hoch. Und genau in der Falllinie springt ein Felsblock vor, rutsche ich aus beim Einhängen, so bin ich Mus. Zur Vorsicht stülpe ich schon mal den Helm übers angegraute Haupt. Letzter Tag in Finale, letzte Route. Muss das sein? Wirklich? Es muss. Obwohl, es ist heiss, sehr heiss. Schon beim Hinaufstarren zum Haken irgendwo am Horizont werden meine Hände nass. Gestern noch scheiterte ich an einer 6a+, der Griff nach dem Überhang war einfach zu glitschig. Ach, die 6a in Finale sind hart, man weiss es ja. Besonders hart oft auch die Einstiege. Wer erzählt, dass Plaisirklettern gefahrlos sei, der soll hierherkommen und mir den ersten Haken einhängen! Aber nun hängt er ja schon, irgendwie geschah das in einer Art Trance, sozusagen unbewusst, und da war auch eine Art Griff und es gab auch eine Art Trittchen für die Spitzen der Kletterfinken. Doch wie man weiss, von vielen tragischen Unfällen, ist ja nicht eigentlich der erste Haken das Problem, sondern der zweite. Aber der steckt zum Glück in Reichweite und – entgegen den Empfehlungen, die ich eben in den «Alpen» lese, also nachträglich – hänge ich mit gestrecktem Arm aber gutem Griff. Hätte ich diesen Grundsatzartikel übers sichere Klettern zuvor gelesen, dann wäre ich wohl am ersten Haken hängen geblieben. Doch nun legt sich das Ganze etwas zurück, es gibt auch mal ein bequemes Loch für beide Hände, aber leider auf der falschen Seite. Auf der richtigen steilt sich die Wand wieder auf, diesmal ohne die schönen Emmenthalerlöcher, sondern nur noch diese seltsamen glitschigen Finale-Dellen und Erosionsrillen für zwei Fingerspitzen und Einfingertropfenlöcher. Einmal auch Zweifinger, aber da hänge ich ziemlich verdreht und bin eigentlich schon fast gestürzt und die beiden Finger sind schon fast wegrasiert, als ich doch irgendwie wieder ins Gleichgewicht komme, also ins körperliche. Die Seele kommt ohnehin nicht mit, bei dieser Tätigkeit. Eine ganz neu entdeckte Technik bringt mich schliesslich auch übers letzte glatte Stück, Fuss ganz hoch ansetzen auf sozusagen nichts, und dann mit den Fingerspitzen eine Rille im Schrägzug fassen. Es geht, es geht, selbst die letzten Zentimeter sind noch hart. Aber dann die Kette, on sight, das grosse Glück. Übrigens heisst die Route «Felicetto cuor contento». Wer dieser Felicetto mit dem glücklichen Herzen war, ist mir nicht bekannt. Google weiss von einem Felicetto Maniero, hübscher junger Mann mit «Engelsgesicht», in Freiheit entlassen nach 17 Jahren Knast wegen Drogen, Raub und siebenfachem Mord. Felicetto war der Boss der «Mala del Brenta», also sozusagen einer alpinen Mafiaorganisation in den Dolomiten. Lebt heute scheints unter neuem Namen ein glückliches Leben. Und auch ich bin glücklich, nach 17 Minuten entlassen, auch wegen Drogen, die da heissen: grauer, fester Fels, Finale.