Finsteraarhornfahrt

Das waren noch Zeiten, als man einen Berg besteigen und dann gleich ein Buch darüber schreiben konnte. Heute reichts in der Regel höchstens für ein SMS. Allerdings wären die Bücherberge inzwischen höher als die realen gewachsen – und unser Bergbücherwurm hätte noch mehr zum Nagen. Inzwischen googelt er ja auch schon, wie man sieht.


— Was meint Ihr, Kaspar? wenn man einmal den da überwunden hat, so kommt man noch auf manches andere Berglein hinauf?
— Denk‘ wohl.
— Ich bin zufrieden mit Euch, und wenn Ihr’s mit mir ebenso seid, dann können wir zusammen einen Blick in die Zukunft werfen. Welchen sollen wir das nächste Mal d’ran kriegen?
— Wer glücklich auf das Wetterhom gekommen ist, hat sich vor dem Finsteraarhom nicht zu fürchten.
— Sapperment,. Ihr wollt mich g’rad‘ auf den Allerhöchsten spediren? Das ist denn aber doch ein anderer Kamerad.
— Höher, aber nicht wüster.
— Kennt Ihr ihn? War’t Ihr schon oben?
— Oben noch nicht; aber d’rum herum habe ich gejagt, und ich fand, dass er eine anständige Höhe hat, auch von drei Seiten schauderhaft stotzig ist, von der vierten aber für unser Einen so zugänglich, wie ein sprödes Meidschi, dem man vom Heirathen spricht.

Mit diesem Dialog im Sommer 1860 zwischen dem Bergführer Kaspar Blatter aus Meiringen und dem Thurgauer Pfarrerssohn Abraham Roth (1823–1880) aus Bern beginnt das Buch „Finsteraarhornfahrt“, das lebendig und anschaulich die Besteigung des höchsten Gipfels der Berner Alpen am 31. Juli 1861 schildert. Mehr noch: Es geht in diesem Buch auch um solche Meitschis, insbesondere im Märchen „s schön Anneli“, das Kaspar seinem Kunden erzählt, während einer kalten und schlaflosen Biwaknacht im Rothornsattel. Also genau dort, wo Rudolf Meyer und seine vier Walliser und Berner Führer lagerten, als sie am 16. August 1812 zur (umstrittenen) Erstbesteigung des Finsteraarhorns aufbrachen.

Finsteraarhorn und Meitschis: Die erste Damenbesteigung gelang der 18-jährigen Engländerin Lucy Walker (1836–1916) am 9. August 1862; mit dabei Vater Frank, Bruder Horace (nach ihm ist die Pointe Walker, der höchste Gipfel der Grandes Jorasses, benannt) sowie Bergführer Melchior Anderegg von Zaun ob Meiringen. Am 19. September 1865 stand die Bernburgerin Elise Brunner (1832-1904) als erste Schweizerin auf dem höchsten Berner. In Anerkennung ihrer alpinistischen Leistungen wählte die Sektion Bern des SAC sie im gleichen Jahr zum (ersten) Ehrenmitglied, obwohl (oder vielleicht auch weil) sie als Frau dem Verein gar nicht beitreten kann. Ihr Bruder war Wilhelm Brunner, eines der ersten Mitglieder der am 15. Mai 1863 gegründeten Sektion. Vor 150 Jahren begann Elise Brunner richtige Hochtouren zu machen; die schwerste wurde das Schreckhorn, welches sie am 25. September 1869 zusammen mit dem Bruder, den Führern Christian Michel (Erstbesteiger des Schreckhorns) und Christian Gertsch sowie dem Sohn von Michel als Träger erstieg. Im sechsten „Jahrbuch des Schweizer Alpenclub“ von 1869 erschienen ihre „Schreckhorn-Reminiscenzen“, leider nur unter E.B., weil der Redaktion, wie sie schrieb, nicht gestattet wurde, den Namen „der Verfasserin“ voll zu bezeichnen. Auszug aus dem lesenswerten Text:

„Noch einige Minuten, so war das Schreckhorn gewonnen, so schwelgten wir in seinem Besitz. Mein Bruder schaute nach der Uhr. Ein Viertel über Vier? Unmöglich! Konnten seit unserm Aufbruch vom Kastenstein volle zwölf Stunden verflossen sein? (…)

Ueber uns ein reiner, ultramarinblauer Himmel; vor uns — wie sonderbar eine kleine Oase inmitten des blendenden Schneefeldes, das die nördliche Abdachung des Gipfels überkleidet. Bei näherer Besichtigung erweist sich der grüne Fleck als die Botanisirbüchse, welche Herr v. Fellenberg hier zurückgelassen hat, und seinem Wunsche gemäss zeichnen auch wir Tag und Stunde unserer Besteigung auf und vertrauen das wichtige Dokument dem blechernen Behälter an. Die von einem hellrothen Tuchstreifen umflatterte Fahnenstange steht noch unbeschädigt aufrecht; das Steinmannli hingegen ist theilweise zerfallen, und seine umherliegenden Trümmer laden uns zum Sitzen ein.
(…)
Wie eine Königin kam ich mir vor auf meinem erhabenen Throne, mit einem kostbaren Reiche zu Füssen. Aber Michel rief plötzlich: ‚Wir müssen fort, wir müssen fort!‘ Ich hatte gehofft, lange, lange auf hoher Bergeszinne zu verweilen, und mit einer kurzen Viertelstunde sollte ich mich jetzt begnügen? Während wir uns an das schützende Seil wieder festbanden, liess ich mein Auge noch rasch von einem Bilde der kaum erschlossenen Gebirgswelt zum andern gleiten, ängstlich bemüht, einen bleibenden Eindruck zu erhaschen. Michel hatte Recht, wir mussten fort.“

Und wir sollten noch bis zum 6. April 2013 in die Galerie Konvex an der Junkerngasse 44 in Bern gehen. Dort stellt nämlich der holländische Fotograf Arthur Mebius seine ganz speziellen, farbigen Flugbilder von Finsteraar- und Schreckhorn aus, und das in einem erhellenden Kontrast zu den schwarzweissen Fotos von Jules Beck, bekannt als erster Hochgebirgsfotograf der Schweiz. Eine starke Gegenüberstellung, ein Berggespräch über Gletscher, Gneis und Generationen hinweg.

Abraham Roth: Finsteraarhornfahrt. Julius Springer, Berlin 1863. Online zu finden hier: www.archive.org/stream/finsteraarhornf00rothgoog/finsteraarhornf00rothgoog_djvu.txt

Für den Text von Elise Brunner auf google „Schreckhorn-Reminiscenzen“ eingeben – so sollte man den Gipfel erreichen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert