Rot und schwarz waren die Foulards, die Erstbesteiger als Gipfelfahnen hissten, die Farben der Revolution und des Anarchismus eigentlich. Das war den braven Alpinisten der Frühzeit wohl nicht bewusst, gilt die Bergsteigergilde doch eher als konservativ bis apolitisch – auch heute noch. Nun, es gab ja auch andere Farben und Foulards, wie wir aus dem besprochenen Buch erfahren. Und nicht alle dienten der Feier eines Gipfelsieges.
„Um 2 Uhr 10 war der Steinmann auf dem Gipfel (4059 m) erreicht. Dort freuten wir uns an der prachtvoll klaren Aussicht, dem Nebelmeer im Tale, dem Jura mit Vogesen und Schwarzwald dahinter, und speisten: Foie gras. Das schwarze Foulard, das wir während des Verweilens als Flagge am Pickel hissten, wurde erst um 3 Uhr heruntergeholt und der Abstieg nach den Gendarmen des Ostgrates angetreten.“
Beneidenswert, was Paul König und Jean Jacques David am 22. Januar 1902 auf dem Grossen Fiescherhorn sahen und assen. Am Vortag waren die beiden schwerbepackt mit Ski und Proviant von Grindelwald zur Berglihütte (3299 m) aufgestiegen. Für das Fiescherhorn liessen sie diese Geräte allerdings in der Hütte; bei den Besteigungen von Mönch und Jungfrau an den folgenden Tagen benützen sie die Ski bis dort, wo diese auch heute in den Schnee gesteckt werden: beim Oberen Mönchsjoch bzw. unter dem Rottalsattel. Über den Aletschgletscher fuhren die Skierstbesteiger schliesslich ins Wallis hinab, das schwarze Foulard sicher im Rucksack verstaut.
Dieses textile Accessoire hat in der Geschichte des Alpinismus durchaus immer wieder eine Rolle gespielt. Zum Beispiel am 17. Juni 1865 bei der Erstbesteigung der Crast’Agüzza (3854 m), jener matterhornähnlichen Felsspitze zwischen Piz Palü und Piz Bernina. Erstbesteiger Johann Jakob Weilenmann im „Jahrbuch des Schweizer Alpenclub“ von 1868: „Das Tuch, so ich mitgenommen, um als Fahne zu dienen, findet, obschon in verschiedenen Nuancen der Farbe der Hoffnung prangend, keine Gnade in den Augen meiner Gefährten. Roth, so roth es aufzutreiben, muss es sein und Pöll’s Hosensack fördert das Wahre zu Tage. Da aber für ihn ohne Nastuch keine Existenz, so tritt Freund Specht, der davon Vorrath hat, ihm, dem über den Tausch hochbeglückten, sein seidenes Foulard ab. An das junge Tännchen genagelt, das wir in der Tiefe gehauen, flattert die Fahne lustig in die Welt hinaus.“
Nun flattern alpin angehauchte Foulards in Turin in die Welt hinaus. Wenigstens mit dem Bildband aus der Reihe „Raccolte di documentazione del Museo Nazionale della Montagna“. Das Buch umfasst 155 Seiten, 170 abgebildete Foulards von 1920 bis heute (sie werden hinten genau beschrieben) und schlaue Texte auf Italienisch und Englisch. Zu sehen sind wunderbar gestaltete und bedruckte, baumwollige und vor allem seidige Tücher, natürlich viel zu schön und zu kostbar, um in einem derbtuchigen Hosensack zu verschwinden oder auf einen Pickel geschnürt zu werden. Im Museo Nazionale della Montagna in Turin können die Kostbarkeiten von Hermes & Co. zudem in echt bewundert werden. Zum Beispiel das Foulard von Geny Spielmann für die Winterolympiade 1948 in St. Moritz, natürlich mit der lachenden Sonne, hier auf rotem Grund. Den Erstbesteigern der Crast’Agüzza hätte es sicher gut gefallen. Und bestimmt auch Alois Kosch, der in „Zwoa Brettl, a gführiger Schnee… Das grosse Ski-Einmaleins“ von 1937 im Kapitel „Was soll ich denn anziehen?“ folgenden Tipp gab: „Daβ der Schal eine luftige, bunte und persönliche Note gibt, ist nur gut und recht. Drum also ruhig bei gegebener Gelegenheit diesen Wimpel der Freude gehiβt.“
Foulard delle montagne. A cura di Aldo Audisio, Laura Gallo e Cristina Natta-Soleri. Priuli & Verlucca, Ivrea 2016; Euro 29.50.
Die gleichnamige Ausstellung im Museo Nazionale della Montagna in Turin ist bis am 28. Mai 2017 zu sehen.