Frauen auf Spitzbergen

Zwei Bücher, die von den ersten Frauen auf Spitzbergen und den Reisen dorthin erzählen: der Tatsachenroman über die Norwegerin Wanny Woldstad und der Reisebericht der Pariserin Léonie d’Aunet.

– Alors, que-ce que vous racontez dans votre carnet?
– J’ai écrit : «Aujourd’hui, le 16 février 1933, nous avons aperçu le soleil pour la première fois de l’année. C’était très agréable.»
En effet, ça l’était. Il a été heureux de partager ce moment avec elle. L’an dernier, il ne se rappelle plus où il était, si c’était ici ou à Hyttevika.

Das letzte Winterhalbjahr, das hatte Anders Saeterdal mit anderen Trappern verbracht, auf Spitzbergen oben, von einer Hütte zur nächsten, mit den Schlitten und Hunden, anfangs der Saison, wenn das Wasser noch nicht gefroren war, auch mal mit dem Kajak. Immer auf der Jagd nach Polarfüchsen, Robben und manchmal auch Eisbären. Immer auf der Jagd nach halbwegs gutem Wetter oder auf der Flucht vor dem wirklich bösen. Immer auf der Jagd nach Nachschub zum Essen, für sich und die Hunde. Eine verdammt raue Männerwelt, monatelang ohne Sonne. Aber immer in der Hoffnung, im Frühling mit vielen Pelzen zurück nach Tromsø in Nordnorwegen zu kommen.

Doch der Winter 1932/33 war anders, ganz anders. Also eigentlich schon gleich, das mit der Jagd und dem meist schrecklichen Wetter. Neu war, dass ihn die junge Witwe Wanny Woldstad aus Tromsø begleitete. Eine Frau dort oben in Spitzbergen, das verstand niemand in Tromsø. Anders Saeterdal eigentlich auch nicht, zu Beginn jedenfalls. Wanny allerdings verstand das Handwerk, draussen und drinnen. Und langsam erwärmte sich der Trapper für die ungewöhnliche Trapperin, fast so, wie die kostbaren Blaufuchsfelle warm geben. Wenn die Polarfüchse denn in die Fallen getappt waren.

«La femme au renard bleu» heisst der Tatsachenroman der Tasmanierin Robyn Mundy. Der Titel der Originalausgabe, «Cold Coast», gefällt (mir) insofern weniger, als im Buch die Kapitel mit Wanny Woldstad abwechseln mit solchen, die aus der Sicht einer Polarfüchsin geschrieben sind. Somit abwechslungsweise Hoffnung beim Lesen, dass Wanny bei der Jagd erfolgreich ist, aber bitte natürlich nicht mit dieser Füchsin.

Wanny Woldstad (1893–1959) war die erste Trapperin auf Spitzbergen. Aber nicht die erste Frau. Diese Ehre gebührt der Französin Léonie d’Aunet (1820–1879). Auch sie musste darum kämpfen, dass sie auf Spitzbergen mitgenommen wurde, nämlich auf eine wissenschaftliche Expedition im Jahre 1839. Sie schaffte es, weil sie ihren zukünftigen Ehemann, den Maler François-Auguste Biard, von dieser Reise zur Erforschung des Arktischen Ozeans überzeugen konnte. Zu jener Zeit waren Kunstmaler noch gesucht, um Reisen bildlich festzuhalten. Ihre Bedingung für die Überzeugungsarbeit: Sie kommt als einzige Frau mit.

Die Reise führte auf dem Land- und Seeweg von Paris über Amsterdam, Hamburg und Kopenhagen nach Trondheim an der norwegischen Küste und via Nordkap weiter nach Spitzbergen, wo sich die Arktis-Pionierin bitterer Kälte und grosser Gefahr aussetzte, um Zauber und Schrecken des ewigen Eises zu erleben und zu beschreiben. Noch strapaziöser ist die Rückreise durch Lappland an die Ostsee, und über Stockholm, Berlin und Mulhouse ging’s zurück nach Paris. Ihre Eindrücke hielt Léonie d’Aunet pointiert und voller Esprit in Notizen und Briefen an ihren Bruder fest. Erst über zehn Jahre später, nach einer verhängnisvollen Affäre mit Victor Hugo, für die sie mit einer Haftstrafe bezahlen musste, entstand daraus der aussergewöhnliche Bericht «Reise einer Frau in die Arktis». Er liegt nun im mareverlag auf Deutsch in einer sehr eleganten Ausgabe mit Schuber vor. Ausschnitt vom Aufenthalt auf Spitzbergen:

Zwei oder drei Tage lang quälte mich der Gedanke an eine mögliche Überwinterung; anscheinend war ich nicht die Einzige an Bord, mir darüber Sorgen zu machen, und so erfuhr ich davon:
Eines Morgens saß ich gerade, in einen riesigen Pelzmantel verkrochen, still auf einer Kanone, abwechselnd den Himmel, das Meer und ihre wundersamen Erscheinungsformen betrachtend, als inmitten einer kleinen Gruppe von Matrosen mein Name fiel und mich aufmerken ließ. Die ersten Worte, die ich hörte, waren folgende:
«Was für eine Idee, eine Frau mitzunehmen! Sind Expeditionen wie diese etwa Vergnügungsreisen für Frauen?»
«Ah, das ist wohl wahr», sagte ein anderer, «und sollten wir in den hübschen Kristallen hier feststecken, wie du’s eben erklärt hast, dann können wir sicher sein, dass sie die Erste sein wird, die sich verabschiedet.»

Robyn Mundy: La femme au renard bleu. Éditions Paulsen, Paris 2024, € 24,00; Cold Coast. Hardie Grant Publishing Group, 2022, Fr. 30.-

Léonie d’Aunet: Reise einer Frau in die Arktis. Mit einem Nachwort von Kristina Maidt-Zinke. mareverlag, Hamburg 2024, € 34,00; Voyage d’une femme au Spitzberg. Hachette, Paris 1854; Babel, Terres d’aventure N° 149, Fr. 14.20.

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