Klettern ist Balsam. Ein moderner Klassiker in der Bockmattli-Nordwand, ein leicht verdientes Glück.

Das ist der Lohn für einen kleinen Text, den ich zum 50-Jahr-Jubiläum der Kletterhütte Bockmattli beisteuerte: Die Nordwand! Benno Kälin schreitet schnell voran, ich komme kaum nach, der Zustieg zur Wand durch nasses Gras und über glitschige Erdstufen ist hässlich, ich rutsche, klammere mich an Grasbüscheln und Wurzeln fest, meine rechte Hand schmerzt und die graue Wand über uns drückt schwer auf die Seele. Trotzdem fasse ich mir ein Herz und sage so leichthin: «Weisst du, eigentlich kenne ich alle Routen ausser dem Free Trip.» Benno ist gleich begeistert.
Klettern ist Balsam, das zeigt sich auch an diesem Tag wieder. Die Schmerzen in der Hand sind bald vergessen, der Tiefblick auf die Spitzen der Tannen am Wandfuss macht mir gar keine Angst, die erste Seillänge der Route gelingt mir fast locker on sight im Vorstieg. Die folgende Rissverschneidung fordert dann allerdings letzten Muskeleinsatz und die Wiederbelebung der Piaz- und Spreiztechnik aus alten Tagen. Eine grandiose Route, die Martin Scheel und Gregor Benisowitsch durch die senkrechte Kalkplatte im rechten Teil der Nordwand gelegt haben, sozusagen das Vorspiel zum berühmten Supertramp etwas weiter links. Ich staune auch jetzt wieder, wie stark dieser Wandteil strukturiert ist, der von weitem so glatt und kompakt wirkt.
Bald stellt sich der altbekannte Bockmattli-Groove ein: die Begleitmusik der Kuhglocken von der Alp, der Blick in die Hügel des Zürcher Oberlandes und zu den Mythen im Westen, die kurzen harten Moves am Fels, die sich meist elegant auflösen lassen, Plattenstellen, die auf den ersten Blick griff- und trittlos scheinen. Und Gras, immer wieder mal grasdurchsetzte Risse, heute noch unangenehm feucht, so dass ich einmal hinwerfe: «Ist das nun eine Felswand mit Gras oder eine Graswand mit Fels?» Nein, natürlich ist es eine grandiose Felswand und die Grasbüschel und der gelegentlich etwas wacklige Griff gehören einfach zum Bockmattli.
Einmal höre ich eine Stimme über mir, bin völlig irritiert, denn keine andere Seilschaft ist in Sicht, doch das Rätsel löst sich: Benno führt am Stand ein Arbeitsgespräch mit seiner Firma. Wir sind also im Hier und Jetzt der Kommunikationsgesellschaft des 21. Jahrhunderts und nicht ein halbes Jahrhundert zuvor, als ich zum ersten Mal in dieser Wand kletterte.
Das Klettern hat sich in dieser Zeit bekanntlich so stark verändert wie die Medienwelt. Bohrhaken und dicke Muniringe an den Ständen haben die Todesängste von damals obsolet gemacht. Was gewisse Freaks bedauern, vor allem wenn sie zu Hause am Laptop Kommentare tippen – in der Wand möchte man einige dieser Schreibtischhelden dann doch lieber nicht beobachten. Benno hat sich durch das Sanieren des Supertramp einige Kritik eingehandelt. Junge Kletterer, sonst gar nicht so ethik- oder geschichtsbewusst, haben die Route wieder «rücksaniert». Ich durfte sie zum Glück noch im Original klettern, allerdings nur im Nachstieg. Kann mich also nicht an der Diskussion beteiligen, da ich ja nicht weiss wie sich Heinz Hüsser damals fühlte, als er vorstieg und vor langen Runouts Scheels rostige handgebohrte Stifte einhängte. Könnte aber doch zur Diskussion beitragen, dass wir 1962 die Nordwestwand mit insgesamt 11 Haken kletterten, Standhaken inklusive, und dabei weder Friends noch Keile noch Sanduhrschlingen benutzten. Soll man also auch dort wieder abräumen?
Im Ernst: Ich finde die Diskussion interessant, ob einige der grossen klassischen Routen im Originalzustand erhalten werden sollten, sozusagen als Hommage und Denkmal für die Erstbegeher. Aber wer entscheidet, welche? Sollte man etwa auch die Eigerwand in den Originalzustand von 1938 zurückbauen, also aller Haken und Fixseile entledigen? Eine konsequente Antwort haben die Briten im Peak District gefunden: No bolt!
Als Oldie bin ich jedenfalls froh, dass die Orignialroutenhüter den Free Trip vorerst verschont haben, lege in einem nassen Riss auch mal noch einen Friend dazu und geniesse die phantastische Kletterei.
Zum Bockmattli-Groove gehören auch die letzten Schritt über die weissen Kalkblöcke zum neuen schwarzen Gipfelkreuz, das mich komischerweise nicht mal stört. Ich bin wohl schon etwas geschafft, aber geniesse den Glücksmoment, den Schluck Wasser, die Aprikose, die Sonne. Gut drei Stunden haben wir gebraucht, so schnell bin ich wohl noch nie die Bockmattli-Nordwand hochgestiegen in den letzten fünfzig Jahren. Dank Bennos Führung, die ich mir mit einem kleinen Text verdient habe.
Die Gedanken von Martin Scheel zur Sanierung seiner Routen mit Orignialtopos und Beschreibungen: http://www.azoom.ch/umwelt/routen_sanieren.php

Hallo ich möchte mich jetzt nach all den Jahren über diese Sache der Bockmattlisanierung auch mal melden ich war ja auch beteiligt an dieser Sache und auch mich trifft da Schuld es ging ja eigentlich darum die Route zu sanieren und nicht zu entscherfen und ich begreife die Erstbegeher wie gewisse Freaks das so eine Route ihren Uhrsprungskarakter behalten sollte wenn die Schlüsselstelle zwingend geklettert werden muss um dann den Express einzuhängen dann sollte das aus meiner häutigen Sicht auch so sein man stelle sich ja vor wenn man beim Freetrip in der ersten richtigen Seillänge des Freetrips zusätzlich Bohrhaken setzte wäre es auch nicht mehr der Freetrip so das wäre so mein Kommentar zu diesem Thema
Schöne Grüsse Ernst Schnyder Vorderthal