Bergsteigen als Beruf und Berufung: Das Buch von und über Gerlinde Kaltenbrunner, die 13 Achttausender «by fair means» bestiegen hat. Verfasst von Karin Steinbach, freie Lektorin und Autorin und ebenfalls passionierte Bergsteigerin.
„Denis [Urubko] kam einen Tag nach uns ins Basislager zurück. Mit einigen seiner Teamkollegen war er am Gipfel [des Nanga Parbat] gewesen. Ich schenkte ihm mein Schweizer Taschenmesser, über das er sich sehr freute. Er hatte mittlerweile erfahren, dass ich Krankenschwester bin, und wandte sich an mich, weil er eine Zahnplombe verloren hatte. Ich hatte von Roberts Frau, die Zahnärztin ist, ein kleines Zahnbesteck mitbekommen und von meinem eigenen Zahnarzt eine Plombenpaste als behelfsmäßige Füllung. Schnell hatte ich mit Barbara vereinbart, dass sie mir assistieren würde. Aber wie sollten wir bei unserer „Operation“ den Speichelfluss verhindern?
Barbara rief plötzlich: „Ich hab eine Idee, warte, ich hab das was.“
Sie kam mit einigen Tampons zurück. Wir schnitten die verräterische Schnur ab und legten Denis‘ Mund damit aus; so schafften wir auch Platz zum Arbeiten. Auf diese Weise konnte ich ihm problemlos die Ersatzplombe einsetzen. Hätte Denis gewusst, was wir ihm da in den Mund stopfen, wäre er vermutlich auf und davon gewesen.“
Ausschnitt aus dem Buch „Ganz bei mir. Leidenschaft Achttausender“. Auch da waren zwei Frauen am Werk, die ihr Handwerk beherrschen. Zum einen die im Schwarzwald lebende österreichische Profibergsteiger (und Amateurzahnärztin) Gerlinde Kaltenbrunner (Jahrgang 1970), die beste Höhenbergsteigerin der Welt; 13 der 14 Achttausender hat sie seit 1998 im sauberen Alpinstil und ohne künstliche Hilfsmittel bestiegen. Zum andern die in St. Gallen lebende Deutsche Karin Steinbach (Jahrgang 1966), Lektorin und freie Autorin; für den Malik-Verlag hat sie bereits die Autobiografie von Ines Papert, der weltbesten Eiskletterin, verfasst.
Jetzt also die Leidenschaft von Gerlinde Kaltenbrunner für die höchsten Berge der Welt: Lesend erleben wir Schönheit und Gefahr dieser Tätigkeit in einer lebensfeindlichen Zone, erleben das Glücksgefühl ganz oben und weiter unten, sterben fast in einer Lawine, setzen uns als Frau gegen bergsteigende Männer durch, müssen erleben, wenn Kollegen sterben, sind jedoch auch bei lustigen Abenteuern dabei. Begreifen, dass Bergsteigen für Gerlinde Beruf und noch mehr Berufung ist. Und hoffen einfach, dass der schwierigste 8000er, der K2, ihr einmal ebenfalls gnädig gesinnt ist. Am 6. August 2010 war er es nicht, ihr Bergkamerad Fredrik Ericsson stürzte vor ihren Augen in die Tiefe.
Am Samstag, 28. August 2010, erhält Gerlinde Kaltenbrunner im Segantini Museum in St. Moritz den King Albert Mountain Award: Eine Goldmedaille, welche die King Albert I. Memorial Foundation alle zwei Jahre vergibt. Der ehemalige St. Moritzer Kurdirektor Walter Amstutz gründete 1993 die Stiftung zu Ehren des belgischen Königs Albert I. (1875-1934), der ein grosser Alpinist war, die Schweizer Berge zu seiner zweiten Heimat erkor und beim Soloklettern in den heimatlichen Felsen am 17. Februar 1934 abstürzte. Ein schwerer Schicksalsschlag für Belgien, dem anderthalb Jahre später gleich der zweite folgte. Am 29. August 1935, also vor 75 Jahren, verunglückte Königin Astrid bei Küssnacht am Rigi tödlich; der Fahrer des Unglückswagens war ihr Mann (und Sohn von Albert I.), König Leopold III. Dessen Sohn wiederum, König Albert II., wird am Sonntag die Astrid-Kapelle besuchen.
Doch zurück zur King Albert Memorial Foundation und ihrem Preis für Persönlichkeiten, die sich für die Zukunft der Berge der Welt verdient gemacht haben. Mit dem King Albert Mountain Award werden am Samstag auch noch geehrt: die Österreicher Albert Precht, einer der besten und kühnsten Freikletterer der Welt, und Professor Christian Körner, Direktor des Botanischen Institutes der Universität Basel und international anerkannter Spezialist für Fragen der Vegetation und Ökosysteme in den Hochgebirgen der Welt; im weiteren Andreas Schild, gebürtig aus dem Berner Oberland und nun als Generaldirektor des Internationalen Zentrums für integrierte Gebirgsentwicklung in Kathmandu (Nepal) arbeitend, der führende Rettungsmediziner Bruno Durrer von Lauterbrunnen und schliesslich – er kommt ja alphabetisch auch zuletzt – Emil Zopfi; er erhält die königliche Goldmedaille für sein weitgefächertes bergliterarisches Schaffen.
Gerlinde Kaltenbrunner: Ganz bei mir. Leidenschaft Achttausender. Mit Karin Steinbach. Malik Verlag, München 2009, Fr. 39.90.
Heute Montag, 30.8.2010, um 20.15 Uhr im Hotel Freienhof in Thun: Gerlinde Kaltenbrunner, die am Samstag mit dem King Albert Mountain Award in St. Moritz geehrt wurde, hält auf Einladung der SAC-Sektion Blümlisalp erstmals ihren neuen Vortrag „Leidenschaft Leben über 8000 m“. Warm anziehen und hingehen!