Kein Bergbuch, sondern ein historischer Roman über einen skurrilen Arzt, Homöopathen und Erfinder aus dem Glarner Bergtal, der 1862 über die Berge nach La Spezia reiste zu Garibaldi, der in den Bergen Kalabriens einen Schuss in den Fuss bekommen hatte.
„Der Tödi am Ende des Tales steht als grauer Klotz in der Dämmerung, auf seinem Grat türmen sich Wolken, als sei das Gebirge gewachsen, ein riesiger Gletscherberg geworden, himmelhoch wie die Gipfel des Himalaja in Indien. Zopfy fährt ein Schauer über die Haut. Er friert, und die Kopfschmerzen bohren sich wieder in den Schädel, von den Schläfen durch die Stirn zur Nasenwurzel. Er atmet tief durch, reibt sich die brennenden Augen. Rauch liegt in der Luft, die Leute heizen ihre Öfen ein.
‚Ich habe Euch vorbeigehen sehen.‘
Der Schuhmacher Fridolin Zopfi ist unter die Tür seiner Werkstatt im Grund getreten. Seine Lederschürze glänzt speckig, der Schnauz hängt ihm über die Mundwinkel. ‚Kommt doch herein.‘“
Szene aus dem jüngsten Zopfi, aus „Garibaldis Fuss. Aus dem Leben des Homöopathen Samuel Zopfy 1804–1890“. Wir leisten der Einladung von Fridolin an Samuel gerne Folge und treten mit Emil in vergangene Zeiten. Und in aktuelle. Denn der Schriftsteller begleitet uns von heute aus bei der Spurensuche nach dem Arzt und Homöopathen, der in seinem Testament verfügt hat, dass ab dem hundertsten Jahr nach seinem Tod alle erwachsenen „männlichen und weiblichen Glieder des Zopfi-Geschlechtes“ im Kanton jährlich in den Genuss der Zinsen des Stiftungsvermögens kommen sollten. Als Emil Zopfi noch im Tödi-Kanton wohnte, erhielt er ab und zu einen Zustupf.
Er erzählt, gekonnt verflochten auf mehreren Ebenen, wie es der arme Bäckersohn Samuel Zopfi dank Fleiss und Geschick zum wohlhabenden und renommierten Mediziner und „Wässerlidoggter“ Zopfy brachte. Wie er gar im Oktober 1862 mit den berühmtesten Ärzten Europas nach La Spezia ans Krankenbett des italienischen Freiheitshelden Giuseppe Garibaldi gerufen wurde, um über dessen Schussverletzung am Fuss zu beraten. Und wie Zopfy zu Hause im glarnerischen Schwanden Ende September 1890, ein paar Wochen vor seinem Tod, die Tage und Nächte verbringt, mit seinem und dem Herbst ganz allgemein ringt, mit dem medizinischen Erbe und den Erben. Leichtfüssig verbindet Emil Zopfi Dorf- mit Weltpolitik, zieht geschickt die Fäden von der Linth bis hinunter zum Mittelmeer, lässt die Leser teilhaben am verletzten Fuss einer Nation und am Schicksal eines grossen Mannes, der in seiner engen Heimat immer weniger gilt. Aber trotzdem noch um Rat gefragt wird, wenn Wunden und Gefühle plagen. Wenn ein Kind auf die Welt kommen will – eine ganz starke Szene am Schluss einer langen Nacht, fast am Schluss dieses dicht gewobenen Buches.
Wie der Glarner Held heim zu trottet nach der Geburtshilfe, kommt ihm der Bub entgegen, der mit den Geissen dem Niederental zustrebt. „Nicht ein einziges Mal hat er mitgehen dürfen als Kind. Später ist er oft mit seiner Frau hinauf ins Tal gewandert und dann steil im Zickzack auf die Mettmenalp. Er setzt sich auf den Brunnenrand, stützt den Kopf in die Hände. Lauscht dem Klingeln der Herde, das allmählich erstirbt.“
Emil Zopfi: Garibaldis Fuss. Aus dem Leben des Homöopathen Samuel Zopfy 1804–1890. Limmat Verlag, Zürich 2016, Fr. 32.50.
Buchvernissage am Freitag, 18. November 2016, 20 Uhr, im Hänggiturm Mühleareal Schwanden GL. Kulturverein Gemeindestube Schwanden, fast am Fuss des Tödi.