Es gibt Leute, die sammeln Gipfel wie andere Briefmarken. Viertausender die einen, Hügel die andern (zum Beispiel Pedro Lenz). Dabei geht es weder um Höhenmeter noch um Sinnfragen. Der Weg ist das Ziel. Virtuellen Gipfelstürmern genügt es auch, die Routenbeschreibung zu lesen und die Bilder zu betrachten.
??.06.16
1st in 2016!
or, more likely, first who
could get the pen to work
Eintrag von R. B. (die ganze Unterschrift ist kaum lesbar) im Gipfelbuch des Nufenenstock (2866 m) in den westlichsten Tessiner Alpen, vielleicht genau heute vor einem Jahr geschrieben. Das vollständige Datum ist nicht mehr zu entziffern: Kleine „Gipfelbewohner“ konnten am Buch nagen, da der Gipfelbuchbehälter Löcher aufweist. Ich selbst trug mich am 22. August 2016 ein – eine Erkundungstour für die Neuauflage meines ersten Wanderführers „Gipfelziele im Tessin“, die Thomas Bachmann und ich gemeinsam erwandert und erarbeitet haben.
336 Seiten, 266 Farbfotos, 178 Gipfel, 88 Touren, 77 Hütten, 36 Routenskizzen, 11 Kapitel, 4 Jahreszeiten, 2 Autoren, 1 Sehnsucht. Gibt zusammengezählt 999 – also tausend Mal das Tessin. Von oben halb im Urnerland bis ganz unten zum südlichsten Gipfel und Ristorante der Schweiz. Von ganz links am Walliser Rand bis rechts gegen Italien. Vom höchsten Hoger, dem Rheinwaldhorn, bis zum tiefsten, dem Burghügel mitten in Bellinzona. Dieses Wanderbuch stellt mit viel Hintergrund und allen nötigen Infos Traumwege und -ziele in Helvetiens Sonnenstube vor. Damit wir dem auf der Alpennordseite doch immer wieder vermissten Himmelsgestirn etwas näher kommen, gibt es bei jeder Tour eben mindestens einen Höhepunkt zu erwandern. Anders gesagt: Vor der Pizza auf der Piazza immer noch ein Pizzo! Aber auch wer einzig am Lido von Ascona hocken oder gar nur vom Ticino träumen will, kommt mit diesem handlichen Führer weiter.
Der Schweizer Alpen-Club geht fremd. Zum ersten Mal in seiner 154-jährigen Geschichte veröffentlicht der SAC einen Führer für eine Region ausserhalb der Schweiz. Der neue Alpinwander-Führer „Ossola“ stellt 50 überaus lohnende Ein- und Mehrtagestouren im Dreieck Nufenenpass, Monte Rosa und Centovalli vor, mit der Stadt Domodossola als Angelpunkt. Die beiden bestens bekannten Autoren Remo Kundert und Marco Volken beschreiben vor allem Gipfel und Pässe, aber auch Schluchten und Hütten im wilden Stück Piemont zwischen den Kantonen Wallis und Tessin. Ein Terrain par excellence für wunderbar würzige Alpinwanderungen in den Schwierigkeiten T2+ bis T6-, präsentiert mit allen wichtigen Infos und wuchtigen Farbfotos. Und mit Hintergrundgeschichten zu Blumen und Walsern, zum Nationalpark Val Grande und Eiskessel des Monte Rosa, zu heiligen Bergen und vergessenen Transitrouten zwischen der Schweiz und Italien. Nichts wie los ins Ossola, das ja vor der Haustüre liegt – nur 1 Stunde und 38 Minuten braucht der Zug von Bern nach Domodossola. Mehr noch: Das Ossola verbindet den tiefsten und den höchsten Punkt der Schweiz – den Lago Maggiore und die Dufourspitze.
Auf sein Urteil ist Verlass! Auf Leslie Stephen, Erstbesteiger des Blüemlisalphorns, Verfasser des wegweisenden Alpenbuches „The Playground of Europe“ (1871) und Vater von Virginia Woolf: „Weder Chamonix noch Zermatt können sich, meiner Meinung nach, mit der Grossartigkeit und Genialität des Entwurfes des Berner Oberlandes messen.“ Und er dachte dabei natürlich an Eiger, Mönch & Schreckhorn. Aber zwischen Sanetsch- und Sustenpass erheben sich noch ein paar andere markante Gipfel. Das auf dem Beatenberg wohnende Führerpaar Sabine und Fredy Joss stellen im handlichen Alpinwander-Führer „Berner Oberland“ 40 meist unbekannte Gipfelzieltouren vor, mit Kärtchen, genauen Infos und tollen Fotos. Und im Anhang mit Hintergrundinfos zu Natur und Kultur. Aber aufgepasst: Wer schon beim Aufstieg zum Schloss Thun mit Atem- und Schwindelbeschwerden zu kämpfen hat, wird die hochspannenden, oft auch schwierigen Ausflüge aufs Spitzhorn bei Gsteig und aufs Spitzhorn bei Lauterbrunnen, auf den Roten Totz, das Rothorn oder den Rotstock nicht wirklich geniessen können.
Sommerzeit = Hochtourenzeit. Bei diesen Temperaturen wie jetzt während der Sommersonnenwende locken die ganz hohen Gipfel der Alpen erst recht, auch wenn die Nullgradgrenze über 4000 Meter steigt. Aber 0° ist nicht 30°, und am sehr frühen Morgen, wenn der über Nacht gefrorene Firn vielleicht gar noch unter den Steigeisen knirscht, wird man froh um Windjacke, Handschuhe und Mütze sein. Wie man nun am besten, sichersten und auch am gäbigsten auf über 4000 Meter hohe Gipfel kommt, zeigt uns Caroline Fink mit „Leichte 4000er Alpen. Die Normalwege auf 35 hohe Gipfel vom Dôme de Neige bis zum Piz Bernina“. Faszinierende Fotos, hautnah recherchierte Hintergrundtexte, meter- und minutengenaue bergtouristische Infos, Detailkarten und Höhenprofile machen den Führer zum idealen Begleiter für all die kühlen Höhen von A wie Aletschhorn (4193 m) bis Z wie Zumsteinspitze (4562 m). 35 hohe Gipfelziele werden vorgestellt, das sollte reichen für diesen Sommer. Und wenn nicht, dann können einige von ihnen im Frühling auch bestens mit Ski bestiegen werden.
Aber der Schweizer Schriftsteller Pedro Lenz wird wohl weder die Ski noch die Steigeisen an die Schuhe schnallen werden. Der Zeitschrift „Made in Bern“, die der „SonntagsZeitung“ vom 18. Juni 2017 beilag, verriet er: „Ich bin eher der Hügel- als der Bergtyp. Viertausender machen mich unruhig.“
Daniel Anker, Thomas Bachmann: Gipfelziele im Tessin. 88 Wanderungen zwischen Gotthard und Generoso. Rotpunktverlag, Zürich 2017, Fr. 42.-
Marco Volken, Remo Kundert: Alpinwandern Ossola. Zwischen Lago Maggiore, Nufenenpass und Monte Rosa. SAC Verlag, Bern 2017, Fr. 49.-
Sabine und Fredy Joss: Alpinwandern/Gipfelziele Berner Oberland. Vom Saanenland bis zum Sustenpass. SAC Verlag, Bern 2017, Fr. 49.-
Caroline Fink: Leichte 4000er Alpen. Die Normalwege auf 35 hohe Gipfel vom Dôme de Neige bis zum Piz Bernina. Bruckmann Verlag, München 2017, Fr. 26.90.