Graubünden in 100 und mehr Geschichten

Graubünden: immer eine Lektüre und eine Reise wert.

«Heidi steht symbolstark für wichtige relevante und aktuelle Werte der Schweiz: für Berge, Natur und ein gesundes Klima, für Gesundheit, Lebensfreude, Nächstenliebe und Empathie. Über 60 Millionen Bücher in etwa 70 Sprachen, 14 Spielfilme, 8 Anime-Filme, sieben TV-Serien und viele Musicals haben Heidi zur weltweit bekanntesten Schweizer Ikone gemacht.»

Nur richtig also, dass „Heidi – Weltstar aus Graubünden“ die Nummer 1 trägt im gewichtigen Werk „Graubünden in 100 Geschichten“. 67 Autorinnen und Autoren befassen sich in zwölf Kapiteln mit dem flächenmässig grössten Kanton der Schweiz, seiner Geschichte und seinen Leuten, seiner Seele, seinen hellen und dunklen Seiten. Bekannte und unbekannte, vergessene und zukünftige, noch nie gehörte und immer wieder gern gelesene Geschichten und Gespräche wechseln in bunter und unterhaltsamer Folge, fein orchestriert und illustriert. Schellerursli steht neben Arno Camenisch, Gian und Giachen treten neben Carlo (Janka) und Dario (Cologna) auf; letztere sind zwar mittlerweile abgetreten. Die Skiakrobatin Mia Engi aus Tschiertschen drehte Salti auf weissen Hängen, die Diplomatin Livia Leu aus Arosa koordiniert Schweizer Angelegenheiten auf den Parketts der Welt. Die 100. Nummer malen die hochkarätigen Künstler Alberto Giacometti und Gerhard Richter. Dann folgen noch ein paar Reiseideen für Sehnsuchtsorte wie Davos oder Engadin. Den Abschluss bilden Chronologie und Literaturverzeichnis.

Ein Pionier, der bestens ins Kapitel „Bündner Held*innen“ gepasst hätte, ist der in Antwerpen geborene Forstingenieur, Lawinenexperte, Glaziologe, Hydrologe, Gebirgstopograf und Alpinist Johann Wilhelm Fortunat Coaz. Zu ihm ist folgende Schrift neu herausgekommen: „Nutzen und schützen. Johann Coaz (1822–1918), der Wald und die Anfänge der schweizerischen Umweltpolitik“. Damit ist der Fokus klar. Über zwei Jahrzehnte engagierte sich Coaz als Forstinspektor für den Bündner Wald. Nachdem er zum ersten eidgenössischen Oberforstinspektor gewählt wurde, setzte er eine nachhaltige Forstpolitik auf nationaler Ebene um. Etwas schade, dass die andern Tätigkeitsfelder von Coaz in dieser Biografie teils nur angeschnitten werden, insbesondere seine Arbeit als Ingenieur-Topograf für die Dufour-Karte, zu deren Bündner Blätter er Grundlagen schuf. Dabei bestieg er, alleine und mit seinen Helfern, 32 Bündner Gipfel als erster, darunter den Piz Bernina und den Piz Kesch. Einen Piz Coaz hätte Johann, erster Präsident der 1864 gegründeten Sektion Rätia des Schweizer Alpen-Clubs, also mehr als verdient; allerdings war ihm selbst das Benennen von Gipfeln nach Personen zuwider. Dass 1926 im Val Roseg die Coaz-Hütte eröffnet wurde, erlebte er nicht mehr.

Verweilen wir doch noch grad ein paar sonnige Tage in der Ferienecke der Schweiz, zuerst in Davos und dann in Sils-Maria. Das machten vor uns zum Beispiel Arthur Conan Doyle, Thomas Mann, Erich Kästner und Friedrich Nietzsche, um nur vier von hunderten von Schriftstellern und Philosophen zu nennen, die dort oben Musse und Musen suchten und fanden. In „Zauberberge. Als es die Dichter und Denker auf die Schweizer Gipfel zog“ heftete sich Andreas Lesti an die erwähnten Berühmtheiten, recherchiert ihre Spuren und die eigene Befindlichkeit, zuweilen stolpernd, aber das kann passieren, wenn die Sonne von St. Moritz zu hell strahlt und Schneekristalle wie Champagnerbläschen perlen. Mit dabei auf Lestis Reise ist in Gedanken und Schriften Theodor W. Adorno aus Frankfurt aM, der jeweils im Waldhaus in Sils-Maria logierte. 1969 wechselte er Ort und Hotel, was ihm allerdings nicht gut bekam: Nach dem Ausflug nach Trockener Steg und zur Gandegghütte ob Zermatt streikte sein Herz, und er starb nach einem Herzinfarkt im Spital Visp. Wäre er nur wieder ins Graubünden gereist…

Peter Röthlisberger (Hrsg.): Graubünden in 100 Geschichten. Somedia Buchverlag, Glarus/Chur 2021, Fr. 45.00.

Karin Fuchs, Paul Eugen Grimm, Martin Stuber: Nutzen und schützen. Johann Coaz (1822–1918), der Wald und die Anfänge der schweizerischen Umweltpolitik. Herausgegeben vom Institut für Kulturforschung Graubünden. Hier und Jetzt Verlag, Zürich 2021, Fr. 49.00.
Buchpräsentation am 21. März 2022 von 18.00 bis 20.00 Uhr im Uristier Saal an der Dätwylerstrasse in Altdorf; eine Veranstaltung des Urner Instituts Kulturen der Alpen. Anmeldung unter veranstaltungen@kulturen-der-alpen.ch.
«messen, regeln, ordnen – unterwegs im 19. Jahrhundert mit Johann Coaz»: Sonderausstellung im Rätischen Museum in Chur noch bis zum 27. März 2022: https://raetischesmuseum.gr.ch/de/ausstellungen/sonderausstellung/Seiten/vorschau_coaz.aspx
Coaz als Topograf und Alpinist: Martin Rickenbacher hielt dazu einen Vortrag im Rahmen der Ausstellung im Rätischen Museum in Chur: www.martinrickenbacher.ch/referate/220301_Chur_RM_Coaz.pdf

Andreas Lesti: Zauberberge. Als es die Dichter und Denker auf die Schweizer Gipfel zog. Bergwelten Verlag, Salzburg 2022, € 20,00.
Vier Davoser Museen ergründen bis zum 30. Oktober 2022 den Mythos Davos aus unterschiedlichen Perspektiven. Das Kirchner Museum fokussiert auf Kunst und Literatur. Von sportlichen Pioniertaten erzählt das Wintersportmuseum. Hochkarätige Exponate zeigen die Geschichte des Bob- und Schlittensports, des Eislaufens, des Skisports und natürlich des Eishockeys. Das Medizinmuseum nimmt Thomas Manns Erzählungen zum Ausgangspunkt und präsentiert die beschriebenen medizinischen Geräte. Das Heimatmuseum zeigt Alltagsgegenstände von Alexander Spengler und Willem Jan Holsboer sowie ein Modell des Sanatoriums «Berghof». www.davos.ch/mythos

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