„Dieses Projekt bot eine wesentlich anregendere Chance. Die Chance, bei null anzufangen. Eine vertraute Landschaft mit neuen Augen zu betrachten. Meiner Arbeit einen klaren Anfang zu verleihen. Und die Chance, am Ende nicht eine Serie von Aufnahmen zu präsentieren, die für andere Zwecke und mit anderen Absichten entstanden, sondern eine Auswahl von Bildern, die zueinander passen, die bewusst für das vorliegende Projekt konzipiert wurden, im Wissen um den Kontext, in dem sie publiziert werden sollten: im Kontext fünf unterschiedlicher Wahrnehmungsmuster, Zugangsweisen und fotografischer Empfänglichkeiten. Von dort zum Entscheid, Schwarzweiss zu fotografieren, was ich in der Greina noch nie gemacht hatte, war es ein kurzer Weg.“
Soweit ein Ausschnitt aus dem Text von Marco Volken, worin er erläutert, warum er die Greina neu – und extra für einen neuen Bildband über diese Hochebene zwischen Tessin und Graubünden – schwarzweiss fotografiert hat. Sein kurzer Weg, diese einmalige Landschaft im schweizerischen Alpenhauptkamm ohne Farbe abzulichten, hat sich sehr gelohnt. So archaisch, so geheimnis- und zugleich kraftvoll haben wir die Greina noch selten gesehen. Reduce to the max. Aber auch die vier andern Fotografen und Fotografinnen zeigen die Hochebene und ihre Ränder alle auf ganz besondere, persönliche und doch allgemein gültige Weise. Dazu sind die Fotos mustergültig in Szene gesetzt. Gekonnte Fotos machen ist ja das eine. Aber mit guten Bildern einen guten Bildband schaffen ist was anderes. Hier ist einer.
Selbstverständlich ist es nicht, dass es überhaupt ein solches Fotobuch zur Greina gibt. Die Hochebene sollte nämlich überflutet werden. Doch sie wurde 1986 gerettet, vielleicht nicht zuletzt dank des persönlichen Augenscheins der Wanderer. Mit der Freude ob der intakten Natur war es jedoch nicht getan: Die beiden Bündner Gemeinden Sumvitg und Vrin, die durch ein Greina-Kraftwerk Wasserzinsen erhalten hätten, mussten das Geld nun anderweitig beschaffen. Vom Tisch sind aber nicht nur die Stauseepläne der Nordostschweizerischen Kraftwerke, sondern auch diejenigen für eine touristische Erschliessung und für einen Schiessplatz. Auf der Greina gibt’s also keine Panzerpiste wie in der benachbarten Val Cristallina, keinen Staudamm wie beim Lago di Luzzone, beim Lukmaniersee, beim Zervreilasee (sie alle befinden sich im gleichen Gebirge), keine Ferienhäuschen, Skiliftmasten und Strassen wie sonst fast überall in den Alpen. So führen heute nur Wanderwege durch den kilometerlangen und etwa zwei Kilometer breiten, zwischen 2200 und 2400 Meter liegenden Raum.
Wer dort war, braucht das Buch „Greina“. Wer nicht, eigentlich ebenfalls. Wer die romanische Sprache lernen möchte, vielleicht auch. Hier ein Beispiel: „Il project empermetteva ina schanza in bien ton pli stimulonta. Quella d’entscheiver da niev.“
Greina – Spazio, Raum, Spazi. Herausgegeben und gestaltet von Roberto Grizzi. Mit einem Text von Leo Tuor und mit Fotos von Roberto Buzzini, Giosanna Crivelli, Tamara Lanfranconi, Sergio Luban und Marco Volken. Desertina Verlag, Disentis 2008, Fr. 65.-