Grenzen

Drei Bücher, die sich mit ganz unterschiedlichen Grenzen befassen. Quer durch Köpfe, Körper und Kooperationen. Vom Fextal via Disentis, Gotthard und Kandersteg bis zur Eisernen Hand bei Basel.

Madrisa schütz mit Deinen Scharen
Dies Haus vor Unbill und Gefahren
Lenk weise der Lawinen Weg
Und schirm des Thales Flur und Steg

Rot bemalter Hausspruch im Ortsteil Klosters-Platz aus dem späten 19. Jahrhundert, abgebildet im Buch «Grenzgänge – Religion und die Alpen», und zwar im Kapitel «Die wilde Bergfee im Freizeitparadies. Inszenierungen von Madrisa im Wandel der Zeit», das Mitherausgeberin Anna-Katharina Höpflinger verfasst hat. Eines der 19 Kapitel in einem rundum faszinierenden und überzeugenden Buch, das viel weiter und tiefer geht, als der Untertitel vermuten lässt. Klar, da befassen sich die Autoren und Autorinnen mit Gipfelkreuzen, mit Glockengeläut gegen Unwettergefahren und mit drei sakralen Bauten in der Val Lavizzara, mit der Geopolitik der Religion im Alpenraum im 16. bis 19. Jahrhundert, ja mit der buddhistischen Gemeinschaft im italienischen Bergdorf Bordo. Aber auch die Religion des Tunnels wird ausgeleuchtet, die Alpenromane von Charles-Ferdinand Ramuz wie «Derborence» und das epochale Epos «Die Alpen» von Albrecht von Haller werden neu beleuchtet, die Belle Epoque Woche in Kandersteg und die Passionsspiele im Oberammergau stehen im Scheinwerferlicht.

Das Buch «Grenzgänge – Religion und die Alpen», Resultat eines inter- und transdisziplinären Forschungsprojekt, besticht durch ein frisches Wechselspiel zwischen dichten Texten, den starken Fotos von Marco Volken und – dank QR-Codes zugänglichen – Musikkompositionen von Darija Andovska und Matthias Arter, gespielt vom Ensemble pre-art soloists. Kurz: Da werden die unterschiedlichsten Grenzen gezogen und überschritten, nachvollziehbar nicht zuletzt dank der aufklappbaren Übersicht, darin die Verbindungen zwischen den Themen und zwischen Grenoble und Salzburg sichtbar werden.

Das Thema Grenze an einem genau bestimmten Gebiet und von ganz spezieller Art im 550seitigen Buch «Grenz-Erfahrungen. Schmuggel und Flüchtlingsbewegungen im Fextal und Bergell 1930-1948». Die Staatsgrenze Schweiz-Italien war das Terrain, das es damals zu kontrollieren, zu verteidigen, zu überwinden galt, oft unter Todesgefahr, aus verschiedenen Lebensnotwendigkeiten. Wir hoffen und leiden mit den Grenzwächtern, Schmugglern und Flüchtenden, mit der lokalen Grenzbevölkerung ebenfalls. Mit Zeitzeugenberichten, bisher unbekannten Grenzwachtdokumenten und vielen Fotos sowie Kartenausschnitten veranschaulichen die Kultur- und Literaturwissenschaftler Mirella Carbone und Joachim Jung eindrücklich die Ambivalenzen, die Grenzen innenwohnen. Ein wichtiges Buch aus den Bergen.

Die Grenze an Ort und Stelle markieren und festlegen: Dafür sorgen Grenzsteine seit jeher. Sie bestimmen aber nicht nur den Verlauf, sondern erzählen auch Geschichte(n) mit den Wappen, den Jahreszahlen, ja den Nummern. Der Ingenieur und Historiker Olivier Cavaleri kennt sich mit den Grenzmarkierungen zwischen der Schweiz und ihren Nachbarsländern bestens aus. Auf bergliteratur.ch wurden seine Publikationen immer wieder vorgestellt, zuletzt «Histoire de bornes. La frontière entre le canton du Jura et la France. Balades – découvertes – histoire». Nun ist der Band zu einer eher kurzen Grenze erschienen, nämlich zu derjenigen zwischen Basel-Stadt und Deutschland. «Grenzsteine. Die Grenze zwischen Basel und Deutschland. Wanderungen – Geschichte» stellt mit viel Hintergrund fünf Wanderrouten zwischen Kleinhünigen und Grenzach vor. Besonders interessant ist dabei die Eiserne Hand, ein 1,7 Kilometer langes und maximal 300 Meter breites Landstück der Schweiz, das seit fast 500 Jahren nach Deutschland hineinreicht. Die Grüne Grenze an der Eisernen Hand war in der Vergangenheit Schauplatz vieler Flüchtlings- und Schmuggelvorkommnisse, wie auch während der Corona-Pandemie. Kurz vor der mit mehreren Grenzsteinen markierten Spitze der Eisernen Hand entdeckt man an einer Buche ein halb im Stamm verschlungenes Schild:

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GRENZE
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Anna-Katharina Höpflinger, Daria Pezzoli-Olgiati, Boris Previšić, Marco Volken (Hg.): Grenzgänge – Religion und die Alpen. Theologischer Verlag Zürich, 2024. Fr. 28.80. www.kulturen-der-alpen.ch

Am Donnerstag, 23. Januar 2025, präsentiert das Urner Institut Kulturen der Alpen um 19 Uhr im Zeughaus Altdorf seine Publikation «Grenzgänge. Religion und die Alpen». https://www.kulturen-der-alpen.ch/fileadmin/Bilder/News/Grenzgaenge._Religion_und_die_Alpen/_KDA_Buchpraesentation_Grenzgaenge_2025.pdf

Mirella Carbone, Joachim Jung: Grenz-Erfahrungen. Schmuggel und Flüchtlingsbewegungen im Fextal und Bergell 1930-1948. Institut für Kulturforschung Graubünden, Hier und Jetzt Verlag, Zürich 2024. Fr. 49.-

Olivier Cavaleri: Grenzsteine. Die Grenze zwischen Basel und Deutschland. Wanderungen – Geschichte. BoD, Norderstedt 2024. € 36,00. info@grenzsteine.ch

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