«Von Fels zu Felsen zieht’s mich.» Besuch in der Felsengrotte des Dichters und Eremiten Gusto Gräser, Guru des jungen Hermann Hesse, der in den Felsen um Arcegno nackt herumkletterte.
Der Morgen ist kalt, auch im Tessin. Zu kalt noch zum Klettern. Wir lassen die Rucksäcke im Auto, spazieren die Strasse von Arcegno nach Golino entlang, die internierte Polen und Ukrainer im Zweiten Weltkrieg angelegt haben. Das Kastanienlaub ist gefallen, und so können wir oberhalb der Strasse die grosse Höhle erkennen, die wir früher schon gesucht haben. Hier hauste der Künster und Dichter Gusto Gräser ums Jahr 1907 und führte den jungen Hermann Hesse ein «in die Weisheitslehren des Ostens», wie es in Wikipedia heisst.
http://de.wikipedia.org/wiki/Gustav_Gräser
Der Eremit und Asket mit wallendem Christushaar und Bart lebte vom Tauschhandel und schrieb Gedichte. Hesse, der sich durch das Leben in freier Natur vom seiner Alkoholabhängigkeit kurieren wollte, schreibt in seinem Text «In den Felsen» über die Zeit mit Gräser: «Ich lebe nackt und aufmerksam wie ein Hirsch in meinem Geklüfte, bin dunkel rotbraun, schlank, zäh, flink, habe verfeinerte Sinne. Ich rieche reife Erdbeeren von weitem, kenne die Winde, Stürme, Wolkenformen und Wetterzeichen des Landes. Seit drei Wochen kenne ich kein Bett, kein Feuer, kein Brot, kein Fleisch, kein Gemüse, kein Gewürz, nicht Löffel noch Gabel nicht Schüssel noch Becher.»
Gusto Gräser, mit seinem Bruder Karl auch Mitbegründer der «Vegetabilischen Kooperative Monte Verità», vollführte im Wald von Arcegno auch so genannte «Mondscheintänze», Vorläufer des modernen Ausdruckstanzes. Heute tanzen wir dort in den schönen Gneisfelsen herum. Er schrieb übrigens auch eine Reihe von schwärmerischen Berggedichten:
«Von Fels zu Felsen zieht’s mich, schaun und schaun,
wie magst Du doch, Natur, so Hehres baun!
Bin ich nicht Du? – Bist Du nicht ich? – Du rauhes Land, wie lieb ich Dich!«
Aus: http://www.emmet.de/pro_gus1.htm
Wir sehen uns in der Höhle um. Laub und Stroh am Boden, Brennholz und Büchsen bei einer Feuerstelle, in der Decke stecken Bohrhaken zum Aufhängen von Kleidern und Kochkesseln. Hier übernachten gelegentlich moderne Kletternomaden, die sich die Tessiner Hotels und Zeltplätze nicht leisten können oder lieber etwas abenteuerlicher leben als wir Salonalpinisten. Von ihren berühmten Vorgängern haben sie vielleicht noch nie gehört.
Inzwischen steht die Sonne über den Tessiner Bergen, wir lassen die Vergangenheit ruhen und wenden uns dem Hier und Jetzt des Kletterns zu.
Siehe auch: http://www.gusto-graeser.info