Heilige Berge

Zum Heiligen Abend zwei Publikationen zu solchen Bergen.

«Es gibt etliche Berge in Europa, die als ‹heilig› bezeichnet wurden bzw. werden. Konjunktur hatte die Heiligsprechung von Bergen vor allem im Zeitalter des Nationalismus, weil damit auch immer nationalpolitische Markierungen verbunden waren. Ob man die Berge auch im religiösen Sinn als ‹heilig› bezeichnen kann, ist allerdings eine andere Frage.»

So beginnt Jon Mathieu seinen grundsätzlichen Artikel «Gibt es heilige Berge in Europa? Eine einführende Spurensuche» im Maiheft der Monatszeitschrift «Religion & Gesellschaft in Ost und West», das sich Heiligen Bergen in Europa widmet. Mathieu, emeritierter Titularprofessor für Geschichte mit Schwerpunkt Neuzeit an der Universität Luzern und bekannt als Gebirgsforscher und Historiker der Alpen, kennt sich bestens aus mit diesen besonderen Bergen; über sie schrieb er das Buch «Mount Sacred» (https://bergliteratur.ch/heilige-und-geheimnisvolle-berge/). In seinem Heftbeitrag geht er eingehend ein auf den Monveso di Forzo (3322 m) im Gran Paradiso Nationalpark, den elf Männer und eine Frau am 9. September 2021 heilig sprechen wollten, und zwar in Anlehnung an den Machapuchare in Nepal, den Kailash in Tibet und den Uluru in Australien. Die Heiligsprechung sollte die Leute anhalten, freiwillig auf die Besteigung des Monveso di Forza zu verzichten und darüber zu reflektieren. Bis jetzt kam es noch nicht soweit. Fazit von Mathieu: «Selbst wenn die ‹Laienheiligkeit› des Monveso di Forza einen offiziellen Charakter erhält, bleibt weiterhin die Frage offen, durch welches spirituelle Angebot sie gefüllt wird.»

Die anderen Beiträge im zurückhaltend illustrierten Heft befassen sich mit heiliger Infrastruktur im Gotthard-Raum, ausgehend von zwei vergessenen Schweizer Literaten; mit dem Triglav (2864 m), der weit mehr als Sloweniens höchster Gipfel ist; mit dem Lovćen ob der Bucht von Kotor und seinem Ostgipfel Jezerski (1657 m), in dessen Gipfelbauten sich die Konflikte um die montenegrinische Identität spiegeln; mit dem Heiligengrab auf dem Tomorr (2415 m) in Albanien, das seit Jahrhunderten von Pilgern besucht wird; mit dem Athos (2033 m) in der gleichnamigen autonomen Mönchsrepublik in Griechenland, dem heiligen Berg der Orthodoxie; und zuletzt noch mit zwei Fünftausendern am Rand von Europa, dem Ararat und dem Elbrus. Immer sehr fundierte Beiträge auf nur 32 Seiten. Und dabei auch einen feinen Kontrast zu Weihnachten setzend: weniger ist mehr.

Eher grad umgekehrt der Bildband «Europas Heilige Berge. Sehnsuchtsorte voller Stille und Faszination» von Bernd Ritschel (Foto und Text), Nina Ruhland (Text). Allein beim Untertitel tauchen Fragen: Der Triglav, der mit «endlosen Staus» aufwartet, als stiller Berg? Auch von Gipfelstürmern überrannt wird der Pilatus (2119 m) und der Sveti Jure (1762 m) in Kroatien, allerdings mehr von Bahn- bzw. Auto- und Radfahrern. Vesuv und Ätna sind auch ohne Touristen nicht wirklich stille Berge. Ob sie auch heilig sind, kommt immer auf die Definition an. 22 europäische, als heilig bezeichnete Berge stellt das Buch mit vielen, oft doppelseitigen Fotos und kurzen Texten vor: Vom Watzmann und Gamskogel in den Ostalpen über Olymp, Tomorr und Monviso (auf dem Cover und auf der Rückseite!) bis zum Donon in den Vogesen und Dovrefiell in Norwegen. Warum der Eiger auch dabei ist, bleibt nebelhaft; er ist doch viel eher ein unheiliger Berg.

Gestern aber besuchte ich wenigstens dem Namen nach eine ganz heilige Anhöhe: den Allerheiligenberg im Solothurner Jura, die ehemalige solothurnische Höhenklinik auf rund 880 Meter am Sonnenhang einer Jurafalte. Sonne gab es keine, eine heisse Ovo ebenfalls nicht in der geschlossenen Bergwirtschaft, dafür frischen Nassschnee und zuletzt noch Regen. Am Ende der Tour erwärmte ich mich in der Kapelle des heiligen Laurentius in Rickenbach.

In diesem Sinne: fröhlich Heiligen Abend!

Heilige Berge. Zeitschrift Religion & Gesellschaft in Ost und West, Nr. 5/2024. Herausgegeben von Forum RGOW, Zürich. Fr. 15.- sekretariat@rgow.eu

Bernd Ritschel (Foto und Text), Nina Ruhland (Text): Europas Heilige Berge. Sehnsuchtsorte voller Stille und Faszination. Knesebeck Verlag, München 2024. Fr. 46.80

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert