Helvetische Abgründe

Vier neue Schweizer Krimis, mehr oder weniger alpin angehaucht.

«Elle ne vit pas le fil de métal tendu au travers du chemin. Elle sentit plus qu’elle ne vit sa chaussure de course empêchée d’aller plus loin, son pied d’appel pris par le filin, comme un renard au collet, puis libéré brutalement. Instinctivement, dans son vol plané, elle tendit les paumes vers l’avant, mais ses mains ne rencontrèrent que le vide.»

Die erste Tote im ersten Krimi der Westschweizerin Emmanuelle Robert, ein vielversprechendes, hochspannendes Debut. Mit einem leichten Nachteil: Auf all den Schwindel erregenden Wegen hoch über dem Lac Léman, zum Beispiel auf dem Gratweg vom Rochers de Naye hinab zur Grande Chaux de Naye, werden wir nach der Lektüre von „Malatraix“ noch stärker als bisher auf den Boden blicken. Schon immer durften wir dort nicht stolpern, aber wenn jetzt plötzlich noch ein Draht quer über den Weg gespannt wäre, dann würde es wirklich gefährlich. Trailrunnerin Catherine „Kate“ Humair hatte an jenem Freitag Abend im September 2020 keine Chance mehr. Nun, zur Beruhigung: Der Mörder, der die Waadtländer und Walliser Berglauf-Community brutal verunsicherte (und dezimierte), wird zuletzt eliminiert. Wer’s ist, verrate ich natürlich nicht.

Rochers de Naye, Pléiades, Pic Chaussy, Cape au Moine und Malatraix: In diese fünf Bergkapitel ist Roberts Kriminalroman aufgeteilt. Letztgenannter Gipfel ist eine bewaldete Felskuppe (1767 m) schier senkrecht über Villeneuve. Von 1844 bis 1932 war mit „Malatrait“ auf der Landeskarte der Schweiz ein gipfelähnlicher Grasbalkon weiter oben auf rund 1930 Metern bezeichnet – einer der schönsten Panoramapunkte am Lac Léman. Dort oben findet dann auch der Show-down statt, so viel darf ich schon verraten. Und vielleicht noch das: Zwischen den Zeilen ist der buchstäblich atemberaubende Trailrunning-Krimi „Malatraix“ auch ein Matterhorn-Roman.

Machen wir grad noch eine Runde in der Romandie. Genauer: im Val Nendaz, im Skigebiet Quatre Vallées, dem grössten der Schweiz. Dort spielt „Black Justice 2.0“ von Nicolas Feuz, ein Ski(lager)krimi aus heutiger Zeit mit (digitaler) Realität, aufgeteilt in die zehn FIS-Regeln. Falls Ihr diese, liebe Bärg- und Schifründe, nicht mehr ganz präsent haben solltet, hier sind sie: https://de.wikipedia.org/wiki/FIS-Regeln. Der neue Jugendkrimi von Feuz erschien in der Collection „Frissons suisses“ der Éditions Auzou in Paris. Diese Reihe für LeserInnen zwischen zehn und zwölf Jahren begründete Feuz zusammen mit seinem Schweizer Kollegen Marc Voltenauer, der auf www.bergliteratur.ch auch schon ein paar Kurven hinlegte.

Vom Wallis hinüber ins Berner Oberland, für Trailrunners ein lockerer Lauf. Locker gibt sich ebenfalls Luke Mischler, einer der Promotoren von „Honeymoon-Alp“ auf der Bussalp oberhalb von Grindelwald, bei der Vorstellung seines Projektes: „Feiern und Flittern am gleichen Ort. Rauschende Feste, romantische Nächte, verbunden mit dem atemberaubenden Ausblick auf die drei Natur-Trauzeugen Eiger, Mönch und Jungfrau.“ Das arme Dreigestirn, nun muss es noch eine weitere Funktion übernehmen… Allerdings werden sie eher Zeugen, wie die erste Hochzeitsfeier ziemlich bachab geht – Gäste landen mit einer Magen-Darm-Grippe im Spital; eine Person war an der gleichen Krankheit ein paar Wochen früher gar gestorben. Irgendetwas muss ziemlich faul sein auf der sonnenverwöhnten Bussalp. Bernhard Schmutz lässt im Umweltkrimi „Schweizer Wasser“ das ungewöhnliche Duo Lisa und Wim ermitteln. Und wir LeserInnen werden in Zukunft auf der Bussalp, nach der Ski- oder Schlittelabfahrt vom Faulhorn, den Durst nicht mit Bergwasser, sondern mit Weissem von Villeneuve (oder einer anderen Waadtländer Appellation) löschen. Und dazu etwas essen – aber sicher keine Pilze.

Jedenfalls nicht nach der Lektüre des Kurzkrimis „Der Feinschmecker“ von Adelheid Blättler-Schmid. Er wird aufgetischt in „Berner Krimis“, einer Anthologie mit kriminellen Stories von 37 Autorinnen und Autoren des Berner Schriftstellerinnen und Schriftsteller Vereins, der heuer sein 80. Jubiläum feiert. Gourmet Hans Kampe befindet sich auf der Heimfahrt von einer Wanderung mit Pilzkenner Nolde, freut sich schon aufs frische Pilzgericht – und darüber, wie der Ausflug verlaufen ist: „Ganz sanft war sein Geschäftsfreund runtergestürzt – nein – man konnte nicht mal von einem Sturz sprechen. Es war in seiner Erinnerung nur wie ein lautloses Hinabgleiten gewesen und ihm wirklich so vorgekommen, als sei Nolde, den man als Leichtgewicht bezeichnen konnte, nur ein bisschen gestolpert. Mehr als ein sanftes Stupsen mit der Hand hatte es nicht gebraucht.“

Emmanuelle Robert: Malatraix. Éditions Slatkine, Genève 2021, Fr. 30.-
Nicolas Feuz: Frissons suisses. Black Justice 2.0. Mit Illustrationen von Julia Wytrazek. Éditions Auzou, Paris 2021, Fr. 14.-
Bernhard Schmutz: Schweizer Wasser. Gmeiner Verlag, Meßkirch 2021, Fr. 23.-
Berner Krimis. Eine Anthologie des Berner Schriftstellerinnen und Schriftsteller Vereins. Tredition, Hamburg 2021, Fr. 19.-

Vernissage Berner Krimis mit Marathonlesung: Mittwoch, 17. November 2021, 19 Uhr in der Casa d’Italia in der Berner Länggasse.

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