Wie fröhlich war das Bergwandern doch einst. Nach sechzehn Stunden Gefahr und Schweiss labte man sich in einem Gasthof mit ein paar Flaschen. Heute bleibt man karg bei einem Most. So ändern sich die Zeiten. In sie tauchen kann man noch immer mit den besprochenen Büchern, lesend oder gar nachwandernd – nur nicht aufs Scheerhorn. Von dem wird abgeraten, wie auch von den mehreren Flaschen darnach.
„Montag Morgens, den 12. Juni [1865], bestellte ich beim unfreundlichsten Wetter ein Fuhrwerk nach Flüelen, als ganz unerwartet Tresch und Zgraggen, vollständig aufgeputzt zum Tanze auf dem Gletscher, in’s Zimmer traten, mit fröhlichen Gesichtern gutes Wetter für den folgenden Tag verkündend. Dieser festen Ueberzeugung gegenüber, bekräftigt durch das wirklich unerwartete Steigen des Barometers, konnte und durfte ich nicht widersprechen und willigte daher, obschon dem Wetter immer noch misstrauend, in die Weiterreise.
Selbstverständlich wurde bei unserem Freunde, Herrn Caplan Furger in Bristen (801 M.), der erste Halt gemacht und auf das Wohl des Scheerhorns einige Flaschen geleert. In heiterster Stimmung, denn das Wetter hatte sich je länger je günstiger gestaltet, sprachen wir Abends im neuen Gasthofe „Zum Schweiz. Alpen-Club“ (circa 1400 M.) ein.
Wie sich doch die Zeiten ändern! Welcher Unterschied zwischen dem unwirthlichen Hüfi-Aelpeli (1800 M.), das aber doch manchem Reisenden als willkommenes Nachtlager gedient, und dem für diese Gegend grossartigen, allen Bedürfnissen entsprechenden Gasthofe, anstatt der Steinplatten auf dem Hüfi-Aelpeli ein elegantes Zimmer mit weichem Bette!“
Lange konnte sich allerdings der Basler Leonhard Fininger (1821–1869), einer der 35 Mitgründer des Schweizer Alpen-Club vor 150 Jahren, am weichen Bett des „Hotel zum Schweizerischen Alpenclub“ auf der Balmenegg im urnerischen Maderanertal nicht freuen. Denn schon um halb drei Uhr morgens ging es mit seinen beiden Führern Josef Maria Tresch und Ambros Zgraggen weiter, und um 11.10 Uhr standen sie als erste Menschen auf dem zugespitzten Gipfel des Kleinen Schärhorns (3234 m) – Fininger vergleicht ihn in seinem Bericht im dritten Jahrgang des „Jahrbuch des Schweizer Alpenclub“ von 1866 mit dem „Knopfe eines Kirchthurms“. Während die Führer ein Steinmannli bauten, strengte sich ihr Gast an, mit „kalten Fingern den obligaten Wahrzeddel zu liefern“. Die (Erst)-Besteigung musste ja vor Ort dokumentiert werden: Ein Steinmann bezeugt, dass jemand oben war, ein hinterlegtes Schriftstück nannte noch die Namen der Besteiger. Für den Abstieg wählten die drei Alpinisten eine wilde Route ins Schächental hinab. Nochmals Fininger: „Bei lästiger Hitze kamen wir um 6 Uhr 15 Minuten im Gasthof zur Rose zu Unterschächen an, wo wir uns einige Flaschen und eine tüchtige Platte Stierenaugen wohl schmecken liessen.“ Wie fade wäre das Bergsteigen ohne Gasthöfe!
Zum Beispiel eben das 1864 erbaute „Hotel zum Schweizerischen Alpenclub“. Bauherr war Albin Indergand, Hotelier und Regierungsrat aus Amsteg, verheiratet mit Rosa Burkhardt aus Basel. Ursprünglich wollte er sein Hotel „Zum Balmenwald“ nennen, doch seine Basler Freunde rieten ihm zu einem alpinistischerem Namen. Und so gibt es ein SAC-Hotel, ohne dass damit eine Abhängigkeit oder Verpflichtung dem Club gegenüber entstanden wäre. Das „Kurhaus Hotel S.A.C. Maderanertal“ florierte prächtig, als Ausgangspunkt für zünftige Touren, noch mehr aber als alleiniges Ziel. Abseits von Verkehrswegen entstand ein richtiges Hoteldorf mit Dependance, Villa, Bäckerei, Kegelbahn, Postbüro, Bibliothek, Arztpraxis, Coiffeursalon und Kirche, wo jeweils auch ein anglikanischer Gottesdienst gefeiert wurde. Ein Garten mit Seelein und Ruderboot rundete das Angebot ab. Kurz: Eine ganze kleine Welt am Ende der Welt.
Zu dieser einzigartigen Hotelanlage hat nun Thomas Kurt Zimmermann eine gediegen gemachte Publikation geschaffen, die sich auf Erinnerungen und Angaben von Menschen stützt, die in den Jahren 1944 bis 1961 im Hotel SAC arbeiteten, Ferien machten oder Einblicke in den Betrieb hatten. Für einmal werden weniger die Reisenden als die Bereisten mit Wort und Bild in den Mittelpunkt gerückt. Da wird die gute – und vielleicht auch nicht immer so gute – alte Zeit lebendig. Am besten ist es natürlich, wenn wir das Buch nicht in unserer Stube anschauen und lesen, sondern gleich vor Ort. „Der Charme vergangener Tage liegt greifbar in der Luft, und ein Aufenthalt bietet ein ganz besonderes Erlebnis“, heisst es im Führer „Die schönsten Hotels der Schweiz“ des Schweizer Heimatschutz. Zudem müssen wir nicht um halb drei Uhr morgens das Bett verlassen, um das Kleine Schärhorn zu besteigen, jedenfalls nicht auf der Route der Erstbesteiger. Der SAC-Führer „Oberalpstock – Windgällen“ von 2010 rät davon wegen der starken Ausaperung „dringend“ ab.
Gar nicht abzuraten ist hingegen der Besuch eines anderen Hotels, nicht ganz so abgelegen wie dasjenige im Maderanertal, sondern von Basel aus in gut zwei Stunden zu erreichen: das Hotel „Rössli“ in Bad Ragaz. Dort isst, trinkt und nächtigt man sehr fein. Und wandert! Wie fade wäre schliesslich das Hotelleben ohne zu wandern. Köbi und Luzi Gantenbein schlagen in ihrem hintergründigen und handlichen Führer „Das Rössli wandert“ fünf chüschtige Touren vor, von der Stadtwanderung im Kurort durch die Taminaschlucht zum Kloster Pfäfers bis auf den zugespitzten Aussichtsfelsen Pizalun. Gegen das Ende dieser Wanderung heisst es: „Und wir trinken im Naturfreundehaus ‚Jägeri‘ einen Most.“
Prost und schöne Ferien!
Thomas Kurt Zimmermann: Hotel zum Schweizerischen Alpenclub. Maderanertal im Kanton Uri, Altdorf 2013, Fr. 37.-, www.bft-altdorf.ch.
Köbi & Luzi Gantenbein: Das Rössli wandert. Geschichten und Wanderungen in und um Bad Ragaz, Edition R, Bad Ragaz 2012, Fr. 19,- www.roessliragaz.ch.