Berghüttenromantik ist nicht jedermanns Sache, man denkt an staubige Wolldecken und beharrliche Schnarcher. Anderseits hört man, das Hüttenleben könne beinahe zu Suchtverhalten führen – den SAC und die Hüttenwarte und -wartinnen freut’s. Hier ein paar literarische Einfälle und ausgefallene Tipps von unserem wie immer top-informierten Mitarbeiter, der jetzt gerade Hotelferien im Pontresina macht.
„Das Rifugio Camosci ist an für sich ein Sonderfall, da es nicht ins Verzeichnis der militärischen Gebirgsbauten aufgenommen wurde. Warum wohl nicht? Der Bau des kleinen Refugiums führt auf die Unternehmungslust von Hauptmann Fritz Gansser (Cp. Fr. fuc. Mont. I/29) zurück. Schon in den Jahren 1941-42 wurde von höchster Stelle die Notwendigkeit erkannt, zuoberst am Piz Cristallina einen strategischen Beobachtungsposten zu bauen, doch aus ‚Bern‘ kam keine Reaktion. Die einheimischen Bauunternehmer weigerten sich wegen der hochalpinen Schwierigkeiten, solch ein Projekt anzugehen. So beschloss Hauptmann Gansser, das Projekt mit Hilfe seiner Leute selber anzugehen, nicht zuletzt, um den Zusammenhalt und die Stimmung in seiner Kompanie zu fördern. Nach 30 Tagen Bauarbeiten fand die Einweihung am 31. Oktober 1943 statt.“
Ein geheimer Bau nordseitig sechs Meter unter dem Gipfel der Cristallina (2911 m), einem der bekannten Tessiner Gipfel, im Schnittpunkt der vier Täler Bavona, Peccia, Sambuco und Torta. Seit fast 69 Jahren bietet das Rifugio Camosci Schutz, Unterkunft und Aussicht, aber auf der Landeskarte und in den Führern ist es nicht zu finden. Nach dem Krieg musste das Holzhüttlein einige böse Zeiten durchmachen, trotz gelegentlicher Verbessungsarbeiten. Zuletzt wäre es fast den Hang hinuntergerutscht. Doch jetzt ist das Rifugio Camosci wiedergeboren. So heisst auch der Titel einer sehr hübsch gemachten Broschüre von Giovanni Kappenberger, Glaziologe, Meteorologe und Lawinenkundler, über das Militärhüttchen auf hoher Warte. Es ist immer offen, bietet 4 (sehr bequem) bis 8 (eng) Schlafplätze; Schlafsack, Gaskocher und etwas Holz für den Ofen muss man selber hochtragen. Reservierung ist nicht möglich; beim Hüttenwart der Capanna Cristallina weiter unten kann man sich aber informieren.
Bleiben wir noch im Tessin. Vor 100 Jahren, am 11. August 1912, wurde die Capanna Campo Tencia eingeweiht: Es war dies die erste Hütte in den Tessiner Bergen, wie der Jubiläumsschrift der Sezione Ticino des Club Alpino Svizzero zu entnehmen ist. Eine reich bebilderte Publikation mit Fotos von einst und heute; wer sie durchblättert, wird Hunger nach einem sonnigen Wochenende am höchsten ganz im Kanton Tessin gelegenen Berg, dem Pizzo Campo Tencia, bekommen. Und natürlich nach einem Essen von Hüttenwart Franco Demarchi. Essen gehört ja zum Wandern, und wie.
Das jedenfalls wird bei einem Führer offensichtlich, der in diesem Sommer in 10. Auflage erschienen ist: dem Berg-Beizli-Führer von Richi Spilllmann. Mit seinem Team hat er 1230 Bergrestaurants, Alp- und Bergwirtschaften, Buvettes, Métairies und Grotti sowie neu 50 Bauernwirtschaften für gut und chüschtig befunden. Nicht nur die Anzahl der Berg-Beizli wächst von Jahr zu Jahr, sondern immer mehr Älpler bieten ihre lokalen Produkte in Alpwirtschaften an. Was uns das Wandern gehörig erleichtert, weil dadurch der Proviantrucksack zusehends weniger drückt. Gut, vielleicht verschiebt sich auch das Gewicht in unseren Körper-„Rucksack“, wenn wir nur noch von Buvette zu Buvette schlendern und schlemmen.
Dieser Gefahr entgehen diejenigen, die mit Iris Kürschner unterwegs sind. In Band 3 der Reihe „Hüttentrekking“ stellt sie 30 zünftige Mehrtagestouren von Hütte zu Hütte in den Westalpen vor, vom Sentiero Roma in den Bergeller Südtälern bis zum Ligurischen Höhenweg vom Tendapass ans Mittelmeer. Tolle Fotos machen diesen Führer auch für diese Wanderer zum Genuss, die statt in einem Rifugio Camosci lieber in einem Hotel zur Gämse übernachten.
il/das Rifugio Camosci è rinato/ist wiedergeboren, Studiografica Grizzi, Avegno 2012; zu bestellen unter bodesign@bluewin.ch
Capanna Campo Tencia 1912-2012, Club Alpino Svizzero, Sezione Ticino, Fr. 15.-; www.casticino.ch/shop_libri.php
Richi Spillmann: Berg-Beizli-Führer 2012-2013, Fr. 38.-; info@bergbeizli.ch
Iris Kürschner: Hüttentrekking Westalpen, Rother Verlag, München 2012, Fr. 47.90.