Ich bleibe noch ein wenig

Zwei neue Bildbände zeigen das Gebirge auf neue Art. Da verweilt man gerne noch ein wenig oder länger.

„Meine Gedanken kreisen wie ein Adler um den Berg, betrachten ihn aus verschiedenen Blickwinkeln und Distanzen, fokussieren Details und bestimmen schliesslich – dies dann eher aus dem Bauch heraus – Ziel und Motiv der Illustration.“

Schreibt die Illustratorin Esther Angst im Vorwort ihres heute erscheinenden Buches „Ich bleibe noch ein wenig. Illustrationen aus den Bergen“. Ein – ich sag’s gleich jetzt – grossartiges Buch: vielschichtig, geheimnisvoll, überraschend, tiefgründig. Schwarzweisse und farbige Zeichnungen, Aquarelle, Druckgrafiken, eine Illustration präziser und gleichzeitig stimmungsvoller als die andere, gekonnt in Szene und auf einer oder zwei Seiten gesetzt, strukturiert von kurzen Texten, in denen die Künstlerin über Nah und Fern erzählt, über ihre Glarner Berge und über die beiden Veloreisen bis in den Fernen Osten. Stark, ganz stark! Man schaut sich die Illustrationen an, immer wieder, und entdeckt Details, die man beim ersten Blick überblättert hat. Zum Beispiel bei der Druckgrafik „Linthschlucht mit neuem Weg“ im Kapitel „Am Wasser“: Wir blicken von oben in die tiefe Schlucht, an der einen senkrechten Schluchtwand verläuft ein Schwindel erregender Pfad, und plötzlich sehen wir den einsamen Wanderer mit Stock, der bald einen Spalt in der Wand auf zwei schmalen, sicher wackeligen Brettern überschreiten muss. Und dann – wir wandern mit den Augen weiter – ist der Pfad durch herabgestürzte Steine blockiert. Ob der Mensch da durchkommt – oder bleiben muss in der Schlucht, ein wenig oder für immer? Wir wissen es nicht. Gleich nebenan eine Reiseskizze aus Tadschikistan, die Schlucht des Panj, wieder ein Atem beraubender Weg, mit Einheimischen und teils schwer beladenen Tieren. Alltag im Gebirge, gekonnt festgehalten für Bergkünstler und Comicpoeten, Radbummler und Stubenhocker.

Ja, an diesem so ganz eigenen Bergbuch bleibt man gerne noch ein wenig. Das gilt auch für den ebenso druckfrischen Fotoband aus dem gleichen Verlag: „zwischensaison“ von Simon Walther. Die eine Zwischensaison, nämlich diejenige vor der Wintersaison, geht ja zur Zeit dem Ende entgegen; an Orten mit natürlichem und künstlichem Schnee kann Ski gefahren werden. Aber der nächste Frühling kommt bestimmt, und genau diese Zeit, wenn der Schnee schmilzt, die Lifte still stehen und die Fensterläden verriegelt sind, wenn die Pistenmarkierungen, Schneekanonen und Toilettenhäuschen zur Seite gestellt werden: Dann war Simon Walther mit seiner Kamera unterwegs und legt nun einen überzeugendes und gleichzeitig beklemmendes Bildband vor. Letzteres deshalb, weil wir dort und zu dem Zeitpunkt, als die Aufnahmen entstanden, lieber nicht noch ein wenig blieben, ja überhaupt nicht sein möchten. Aber: So sieht es dort oben eben aus – nach der Hauptsaison. Alltag im Gebirge, gekonnt festgehalten für Melancholiker und Wintervermeider, Skihasen und Touristen bzw. Touristiker.

Esther Angst: Ich bleibe noch ein wenig. Illustrationen aus den Bergen. AS Verlag, Zürich 2018, Fr. 48.-

Simon Walther: zwischensaison. Mit einem Vorwort von Markus Mäder. AS Verlag, Zürich 2018, Fr. 48.-

BergBuchBrig: Am Freitag, 8. November 2018, gibt es Veranstaltungen zu beiden Neuerscheinungen, um 15 Uhr mit Simon Walther und um 18.45 Uhr mit Esther Angst. Die Fotos von „zwischensaison“ werden in einer Sonderausstellung gezeigt.

Buchvernissage und Ausstellung von „Ich bleibe noch ein wenig“: Galerie feldegg93 in Zürich, 15. November bis 8. Dezember 2018; Vernissage am Donnerstag, 15. November, 18 Uhr; Lesung und Künstlergespräch am Samstag, 24. November, 15 Uhr; www.feldegg93.ch

Vernissage von „zwischensaison“: Am 29. November 2018 um 18 Uhr im Hotel „Säntis“ auf der Schwägalp.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert