Im extremen Fels

Alle Pause-Extrem-Touren gemacht! Das war für Kletterer einst ein Traumziel wie alle Viertausender für die Alpinen. Da seit einigen Jahren «retro» in ist, hat Panico die Gelegenheit ergriffen und die einstige Modebibel des Extremkletterns neu aufgelegt. Ein paar Griffe sind inzwischen abgebrochen, ein paar Touren ganz abgestürzt, andere noch immer heiss begehrt. Wer sie echt retro begehen will, lässt die Kletterfinken zuhause und holt sich im Brockenhaus ein Paar alte Lowas.

Cover Im extremen Fels

„Dieses Buch der 100 schönsten Kletterführen im extremen Fels der Alpen wurde öfters angekündigt und daher auch mit Spannung, ja mit Ungeduld erwartet. Er ist möglich, daβ es noch zu früh erscheint. Gemessen nämlich an den letzten Wellenschlägen des Aufruhrs, der die letzte oder auch vorletzte Phase in der ‚Erschlieβung der Alpen‘ begleitet hat. Mancher hektische Versuch, komme was wolle doch noch ein ‚Allerletztes im Fels‘ zu produzieren, deutet freilich auf ein absolutes Ende der Entwicklung. Was aber keineswegs bedeutet, daβ das Kreiselspiel um die letzten Wertungen schon zu Ende ist. So oder so, ich für meinen Teil bin froh, aber des Treibens müde!“

So leitete der bekannte deutsche Bergbuchautor Walter Pause (1907–1988) eines seiner vielleicht erfolgreichsten, ganz sicher jedoch gesuchtesten Bücher ein, das bis im letzten Jahr antiquarisch kaum aufzutreiben war, und wenn, dann nur zu saftigem Preis. „Im extremen Fels. 100 Kletterführen in den Alpen“, mit den schwarz-weissen Ansichtsfotos von Jürgen Winkler, erschien erstmals 1970, dann nochmals 1977 – und war seit 45 Jahren Bibel, Leitfaden, Projekt für alle Kletterer und Alpinisten, die es wirklich drauf hatten oder haben wollten. Die 100 extremen Pause-Touren musste man doch gemacht haben, oder wenigstens ein paar von ihnen. Ich konnte leider vor keine ein Gutzeichen setzen, meine Griffweite zum Abhaken waren die Genussklettereien vom „schweren Fels“; dieses Buch schenkte mir Gotte Eva am Palmsonntag 1971 zur Konfirmation.

Nun hat der Panico Alpinverlag den Klassiker von Pause/Winkler neu herausgegeben, mit Winklers messerscharfen Fotos, und mit neuem Text von Christoph Klein, deutscher Extrembergsteiger, katholischer Theologe, Filmemacher und Journalist mit Wohnsitz in der Ostschweiz. Die Übersichtstopos im gedruckten Buch wurden sanft überarbeitet; mit einem Gutscheindcode kriegt man das pdf-eBook mit detaillierten Anstiegsskizzen und weiterführenden Infos.

Da sind sie also wieder, die 100 extremen Touren in den Alpen, von der Nordwestwand des Olan durch die Nordostwand des Pizzo Badile und über den Schweizerpfeiler am Grossen Drusenturm bis zur Westkante der Schartenspitze. Acht Führen wurden gegenüber der Erstauflage ausgetauscht, weil sie wie der Bonattipfeiler am Petit Dru nicht mehr kletterbar oder wie die Nordwestverschneidung an der Cima Su Alto offenbar nicht mehr lohnend sind. Warum aber um Gottes Willen der Rädlergrat am Himmelhorn in den Allgäuer Alpen mit extrem steilen Gras und brüchigem Fels Aufnahme fand, bleibt ein Rätsel. Vielleicht aber deshalb, dass das Wunschziel von 100 gemeisterten Touren niemals in Erfüllung gehen wird. Und wenn wir schon am Kritteln statt Klettern sind: Schade, dass die meisten Vornamen der Erstbesteiger nicht ausgeschrieben sind. So verschwinden auch Kletterinnen wie Paula Wiesinger, die mit ihrem Mann Hans Steger erstmals durch die direkte Ostwand der Rosengartenspitze in den Dolomiten stieg. Ebenfalls nicht gerade charmant, dass Betty Favre, Ernest Favre und Louis-Maurice Henchoz als Erstbegeher des Salbitschijen-Westgrates unterschlagen werden.

Aber das sind Kleinigkeiten einer grossen Bergpublikation. Es ist doch einfach gut, dass das Kultbuch der Alpinkletterszene wieder da ist – greifbar für alle. Und wieder liebäugle ich mit der 480 Meter hohen Nordkante des Fuβstein in den Zillertaler Alpen, mit Schwierigkeit 5- die leichteste Route im Bildbandführer. David Lama kletterte sie in 34 Minuten, inklusive Eintrag im Wandbuch.

Christoph Klein, Jürgen Winkler: Im extremen Fels. 100 legendäre Kletterführen in den Alpen. Panico Alpinverlag, Köngen 2015, Fr. 58.60.

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