Im Griff

Drei Männer, der Berg, die Liebe. Alles klar? Nun hat also auch der noble Berlin Verlag die Alpine Literatur entdeckt, bzw. Kletterliteratur, denn Wales liegt ja nicht in den Alpen. Auch die Lofoten nicht, wo die Dreierseilschaft heute älterer Herren einst Kletter- und Liebesabenteuer erlebte. Unser Rezensent ist sehr angetan, offenbar hat auch die Übersetzung aus dem Niederländischen seinem kritischen Blick Stand gehalten.

„Noch etwa sechs Meter. Der mittlere Teil war ausgesprochen leicht gewesen, aber jetzt wurde es etwas steiler, steiler jedenfalls, als er erwartet hatte. Er sah nach oben und schätzte die Route ab – wie hatte er es sich von unten aus vorgestellt? Ja, da waren die Griffe, die er gesehen hatte. Es musste zu schaffen sein. Los, spornte er sich an. Nur noch ein paar Meter.“

Ob es Vincent schafft, die nötigen Griffe bis ganz oben zu finden? Eigentlich ist er gar nicht zum Klettern an die walisische Südküste gekommen. Der Einstieg in die dreissig Meter hohe Felswand erfolgte ganz spontan. So wie Paul sich übermutig in die kalten Fluten stürzte, während Martin zu seiner Tochter Fiona schaute. Am Bahnhof Swansea hatte er Paul und Martin mit dem Bus abgeholt, die mit der Bahn von Brüssel über London angereist waren, zum Treffen in Erinnerung an die Kletterreise in die norwegischen Lofoten vor zwanzig Jahren. Anstatt aber vom Bahnhof direkt zurück ins Haus an der Küste und zu seiner Frau Lotte zu fahren, schlug Martin eine Küstenwanderung vor. Eine Wanderung, die auf einmal kippt. Kann der anrollenden Flut entflohen werden? Findet Vincent die rettenden Griffe? Und haben die drei einstigen Klettergefährten ihr Leben überhaupt im Griff? So heisst auch der Roman: „Im Griff“.

Drei Männer unterwegs. Zu sich selbst. Und zu einer Frau. Das ist die Geschichte, der der Niederländer Stephan Enter in seinem zweiten nun auf Deutsch vorliegenden Roman erzählt. So wie die Städte, die Landschaft und die Wände des Eurotunnels an den Anreisenden vorüberziehen, so holt die Erinnerung an jenen Bergurlaub in Norwegen die drei Hauptfiguren ein, immer mehr, immer stärker, immer verbindlicher. Was passierte damals, beim Unfall, bei der Liebeserklärung, davor, danach, dazwischen? Und seither. Was ist aus den Hoffnungen und Träumen geworden? Die Reise vorwärts verbindet sich mit derjenigen rückwärts, Tritt um Tritt, Griff um Griff.

In vier Seillängen hat Enter seinen Roman unterteilt. Zuerst führt der introvertierte und musische Paul, dann folgt Martin, der langweiligste und humorloseste der drei Männer, bevor der talentierte und selbstbewusste Vincent übernimmt. Und sich glatt in eine schier ausweglose Situation hineinbegibt. Zum Schluss geht Paul voraus und sieht im letzten Satz Lotte auf der Terrasse stehen, mit Blick aufs Meer. Sie hat, so scheint es, das Leben im Griff.

Ein geschickt komponierter Roman um Erinnerung und Freundschaft, um das Leben und was wir daraus machen (oder auch nicht), ums Älterwerden, ums Reisen und auch ums Klettern. Die Originalausgabe ist vor zwei Jahren erschienen, mit dem einfachen Titel: „Grip“.

Stephan Enter: Im Griff. Berlin Verlag, Berlin 2013, Fr. 25.90.

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