Im Süden schön!

Tessin, Land der Bücher, Blumen und Baumeister. Eine Entdeckungsreise.

«Möge dieses Buch all jenen eine Hilfe sein, die erstmals, wieder einmal oder mal so richtig die Region zwischen Gotthard und Chiasso zu Fuß entdecken möchten. Und auch jenen, die schon fast alles kennen. Eins ist sicher: Es gibt viel zu erleben. Selbst beim aberhundertsten Besuch.»

È vero! In beiderlei Hinsicht: Buch und Besuch. Es heisst „Tessiner Streifzüge. Wandern und entdecken zu jeder Jahreszeit“, stammt vom Ex-Tessiner und Wahl-Zürcher Marco Volken. Mit dem oben zitierten Absatz schliesst er sein Vorwort ab, das mit „Im Süden schön!“ überschrieben ist. Wie wahr! Und mit dem 311seitigen Führer von Marco wird er gleich noch ein bisschen schöner. Im Süden und im Norden. Also vor Ort und zu Hause. Letzteres deshalb, weil das Buch, neben dem Planen der Wanderungen ennet dem Gotthard und der Freude darauf, erstens auch ein Lesebuch ist. Zum Beispiel die vier Seiten über die Tessiner Berghütten: „Besser als tausend Hotelsterne“. Und zweitens, weil das Buch auch ein Bildband ist. So viele starke Tessinfotos habe ich noch nie gesehen; zugegeben, sie sind teils etwas klein, weil er ja im Rucksack Platz haben muss, der Führer. Mit mindestens einer Farbfoto pro Doppelseite, wohl eher mit zwei, mit 46 Wanderrouten, inkl. Varianten, mit 34 weiteren Vorschlägen, mit vertiefenden Texten zu Natur, Kultur und Geschichte, mit GPS-Daten zum Download. Kurz: einfach ein rundum schönes Buch. Es gehört ab sofort zum obligatorischen Gepäck bei einer Reise ins Tessin.

Es seien noch ein paar andere neue Bücher zum Ticino vorgestellt. Der neue Haupt-Wanderführer „Naturwanderungen im Tessin. Auf den Spuren der Biodiversität“ beschreibt 27 Wandertouren zwischen Lukmanier und Chiasso (davon 9 im Sottoceneri), immer in Naturlandschaften von nationaler Bedeutung. Das Schwergewicht des reich bebilderten Buches liegt darin, was man unterwegs sieht und sehen kann, also besondere Landschaftsformen, Fauna und Flora. Wobei es bestimmt einfacher ist, ein Steinbrech-Leimkraut zu entdecken als ein Steinhuhn oder einen Steinmarder… Im Anhang des 780 Gramm schweren Buches gibt es das alphabetische Artenverzeichnis von Abbisskraut (ist bei der Tour 19 in den Monti di Medeglia zu finden) bis Zwitscherschrecke (Tour 1). Etwas mager sind leider ein paar touristische Infos ausgefallen, so zu Seilbahnen und Berghütten. Natürlich findet man diese mit dem Smartphone, aber die Angaben von Links würden die Planung vereinfachen.

Die bestens bekannte Schweizer Schriftsteller Eveline Hasler lebt seit Jahren im Locarnese. In ihrem jüngsten Buch „Spaziergänge durch mein Tessin“ erzählt sie von eigenwilligen Bewohnern und Gästen dieser wohlbesuchten Landschaft und erkundet die von der Vielfalt Italiens und der Kargheit der Alpen beeinflusste Küche. Ihre Spaziergänge machen buchstäblich Appetit auf mehr: zahlreiche Originalrezepte regen zum Nachkochen an. Die 18 kulturellen und kulinarischen Touren führen in die Täler Centovalli, Onsernone, Maggia, Bavona, Verzasca, Leventina und vor allem auf die Hügel rund um Ascona und auf der gegenüberliegenden Seeseite. Wer genaue wandertouristische Angabe erwartet, wird nicht bedient. Muss es auch nicht werden; dafür gibt es genügend andere Publikationen sowie analoge und digitale Karten. Mit dem Buch bekommt man nicht nur Hunger auf Tessiner Spezialitäten, sondern auch auf literarische Werke, die Eveline Hasler erwähnt. Geschmückt ist ihr Buch mit 18 Schabkarton-Illustrationen von Hannes Binder, der ebenfalls im Tessin wohnt.

Die Collona „Sui sentieri dei padri“ stellt die Bergwelt des Tessins bis zur hintersten und obersten Alphütte bzw. ihrer Reste vor, inkl. Beschreibung, wie man dorthin kommt (oder auch kaum). Nun ist der achte Band erschienen, wieder von Giuseppe Brenna, dem wohl besten Kenner des alpinen Tessins. Auf dem Cover die halb eingefallene Steinhütte auf der Alpe Gülaresc (ca. 2150 m) in der Val Piumogna. Auf der Landeskarte hat die Alp keinen Namen; die Hütte, die sich von den umliegenden Steinen nicht gross unterscheidet, findet man hier: 2’699’581, 1’145’753. Was für ein bemerkens- und aufsuchenswerter Ort! Wie viele andere in diesem linken Seitental der Leventina, das vom Pizzo Campo Tencia (3071 m) beherrscht wird. Und in diesem Buch mit 174 Routen zu 290 Alpen, mit 34 Kartenausschnitten und 622 Farbfotos. Es heisst: „Alpi di Leventina e Val Bedretto. La Via dell’Alpigiano della Val Piumogna, il Sass di Nom in Val Gagnone, l’antica iscrizione dell’Alpe Mottascia, le eriscie di Cruina e altre storie.“

Aber jetzt noch kurz der Hinweis auf ein fünftes Tessinbuch. Es stammt von Omar Gisler: „Terra d’Artisti. Wie Tessiner Baumeister europäische Kunstgeschichte schrieben“. Einer dieser Meister war in den 1980er Jahren auf der 100-Schweizerfranken-Banknote dargestellt: Francesco Borromini. Aber es gab noch viele andere. Zum Beispiel Pietro Morettini (1660 – 1737). Er arbeitete als Festungsbaumeister in Besançon, Landau in der Pfalz, Namur und Bergen op Zoom, zeichnete die Befestigungspläne von Sursee, Rapperswil, Bremgarten und Baden und baute das Urnerloch bei Andermatt, den ersten Schweizer Verkehrstunnel. An ihn denken wir, wenn wir im Wandertenue sommers wie winters durch den kürzen oder längeren Gotthardtunnel richtig Chiasso reisen.

Marco Volken: Tessiner Streifzüge. Wandern und entdecken zu jeder Jahreszeit. Rotpunktverlag, Zürich 2022. Fr. 39.-

Ivan Sasu, Eric Vimercati, Marcello Martinoni, Alma Sartoris: Naturwanderungen im Tessin. Auf den Spuren der Biodiversität. Haupt Verlag, Bern 2022. Fr. 39.-

Eveline Hasler: Spaziergänge durch mein Tessin. Landschaft, Kultur und Küche. Mit Zeichnungen von Hannes Binder. Nagel & Kimche, Zürich 2022. Fr. 30.90.

Giuseppe Brenna: Alpi di Leventina e Val Bedretto. Salvioni Edizioni, Bellinzona 2022, Fr. 40.-

Omar Gisler: Terra d’Artisti. Wie Tessiner Baumeister europäische Kunstgeschichte schrieben. Mit einem Vorwort von Marco Solari. AS Verlag, Zürich 2022. Fr. 42.80.

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