Fake News in und mit den Bergen: Alpinist-Chefredakteurin Katie Ives erzählt schwindelerregende Geschichten.
«In June 1962, readers of Summit magazine opened its page to an intriguing photo of a seemingly unknown range. The mountains in the black-and-white image were unlike any that most American climbers had ever seen before. Sheer rock cliffs rose to intricate ridges and spires, stacked one above the other, thousands of feet high, like the ramparts of an extraterrestrial city.»
Mit diesem schwarzweissen Foto himmelwärts strebender Felspfeilern eröffnet Katie Ives, Chefredaktorin der renommierten US-amerikanischen Zeitschrift Alpinist, ihr erstes Buch mit dem Titel „Imaginary Peaks: The Riesenstein Hoax and Other Mountain Dreams“. Was die Leser und Bergsteigerinnen vor 60 Jahren besonders zusätzlich verwirren und elektrisieren musste, war nicht allein der Anblick solch noch kaum je gesehener Granitnadeln. Erstens waren auf dem Foto vier mögliche Anstiegsrouten eingezeichnet. Und zweitens verriet die Bildlegende die (angebliche) Location: Die Gipfel würden Riesenstein heissen, seien circa 2400 Meter hoch, befänden sich in British Columbia und könnten in zwei Tagen Wandern durchs Unterholz entlang dem Klawatti River erreicht werden. Die Legende gipfelte in der Frage: „Who will be the first to climb it?“
Allerdings, und das fand man nach und nach heraus: In den Bergen von British Columbia, obwohl damals noch nicht bis zum letzten Zacken erforscht, wurde das Foto ganz sicher nicht aufgenommen. Zudem wurde der echte Riesenstein lokalisiert: ein Felsblock- und Klettergebiet am Hang des Gaisbergs direkt über der Heidelberger Altstadt. Kurz: Der Riesenstein-Artikel erwies sich als Zeitungsente. Das ist auch eine der Bedeutungen von Hoax; andere sind Falschmeldung und Scherzartikel. Nur, und diese Frage blieb im Raum und im Kopf der Alpinisten stehen wie die herausfordernden Wände und Linien am falschen Riesenstein: Wo wurde das Foto aufgenommen, wo waren diese offenbar noch nie erkletterten Gipfel? Alaska, Patagonien, Grönland, irgendwo versteckt in den riesigen Gebirgen Asiens?
Wie das alpinistische Rätsel gelöst wurde, wer es und warum überhaupt erfunden und veröffentlicht hat, wie und mit welchen Mühen die Spitzen nach und nach bestiegen wurden: All das erzählt Katie Ives in ihrem hochinteressanten und tieffundiertem Buch, das uns auch eine in Europa leider kaum bekannte Alpinismusgeschichte näher bringt. Ives entfaltet nicht nur die ganze Riesenstein-Story, sondern bringt sie in die Reihe mit anderen vorgestellten und erfundenen Bergen, von der Antike bis zur behaupteten Erstbesteigung im Jahre 1906 des Denali (6190 m), des höchsten Gipfels in Alaska und in Nordamerika, durch den US-Amerikaner Frederick F. Cook, der gar ein Foto des einst Mount McKinley genannten Gipfels nach Hause brachte. Glücklicherweise gelang 1910 die Entdeckung von Cooks „falschem McKinley“, der kilometerweit vom richtigen Berg entfernt lag und 2000 Meter weniger hoch war. In Alaska, meilenweit hinter dem Denali, befinden sich denn auch die atemberaubenden Riesensteine: Kichatna Spires ist ihr Name; die Ureinwohner nannten sie „K’its’atnu Dghelaya“.
Im Juni 2022 meldete Alpinist, dass am Hauptgipel (2738 m) der Kichatna Spires zwei neue, höchst schwierige Big-Wall-Routen in mehrtägigen Klettereien eröffnet wurden, „The Pace of Comfort“ durch drei US-Amerikaner sowie „Thunderstock“ durch zwei Briten. Die Meldung schloss mit diesem Hinweis: „Even with modern forecasting tools, weather patterns and difficult conditions in the region continue to challenge climbers today.“ Das heisst, dass genügend Material mitgenommen werden sollte, wenn man sich an den Fuss dieser wirklich abgelegenen Berge begibt (was meistens mit einem kleinen Flugzeug erfolgt). Also sollte auch Lesestoff miteingepackt werden, für den Fall, wenn tagelanges Schlechtwetter das Klettern verhindert. Katies Erstling ist ein guter Tipp. Das Buch empfiehlt sich ebenfalls sehr zur Lektüre bei Schönwetter auf einer schattigen Terrasse.
Katie Ives: Imaginary Peaks: The Riesenstein Hoax and Other Mountain Dreams. Mountaineers Books, Seattle 2021. € 25.50.