Garmil. Diesen Namen hatte ich noch nie gehört. Dabei wollten wir doch auf den Gemsfairen. Konfetti war auf den Strassen in rauhen Mengen gestreut worden, in höheren Lagen lag haufenweise Schnee herum. © Annette Frommherz
Die Schneeverhältnisse und die Lawinensituation würden es nicht zulassen, auf den Gemsfairen zu steigen, liess man verlauten. Man werde deshalb einen geeigneten anderen Berg in Betracht ziehen. Ich stieg frühmorgens in den Zug, die Schneeschuhe an den Rucksack geschnallt. Fasnachtsleichen hingen in den Polstern wie schlaffe Teppiche, die man nach dem Ausklopfen zwar aufgerollt, aber vergessen hatte einzusammeln. Konfetti klebte an meinen Schuhen, als ich in Schänis ausstieg. Die Fasnacht ist ein eigenartiges Treiben.
Eine ganze Weile später sah ich mich mit einer Gruppe den Hang hinaufsteigen. Verzuckerte Tannen, ein Glitzern wie verzauberte Konfetti, bunte Jacken, keine Masken. Von ferne hörte ich die Glocken der Kirchen, die zum sonntäglichen Gebet ruften. Weiter oben versuchte ich die Tourenfahrer zu ignorieren, die mit Stiebern durch den tiefen Schnee an uns vorbeifuhren. Es war kalt, und unsere Nasen färbten sich rot. Noch kälter wurde es, wenn wir auf die anderen warten mussten.
Ein Augenblick ist eine verdammt lange Zeit, dachte ich, aber auch andere Gedanken machten sich in mir breit. Ich dachte zum Beispiel daran, was mich um Himmels Willen dazu bewogen hatte, mit Schneeschuhen diesen Prachtstag zu begehen. Ich fand keine Antwort, dafür einen dieser knusprigen Schokoriegel in meinem Proviantsack. Weit unten im Rheintal trommelten und trompeteten die Nimmermüden einer Guggenmusik. Ich jauchzte die Sonne und den Schnee an. Jeder hat seine eigene Musik. Dem Gipfel hatten wir längst den Rücken gekehrt, als die Sonne sich hinter den Bergketten verzog. Genug jetzt, wird sie sich gesagt haben, noch ist nicht aller Tage Abend. In langen Schritten rutschten wir die steilen Hänge hinunter. Im Pizolstübli trafen wir auf ein paar hängengebliebene Fasnächtler, die sich mit Perücken tarnten und mit schwerer Zunge parlaverten. Die Witze, die sie zum Besten gaben, waren nicht stubenrein.
Gegen Abend war der Zug voll von diesem und jenem. Eine mächtige Tuba versperrte den Gang. Ihr Besitzer, im Zottelkostüm und rotbemaltem Gesicht, sah abgekämpfter aus als jeder Pistenrowdy. An sein Instrument gelehnt, sass er da mit leeren Augen, die ihm ab und zu schwer wurden. Die Posaune, die zwischen Skiern, Snowboards und Schlitten lag, konnte ich keinem Kostüm zuordnen. Schichten von Konfetti dekorierten den Boden der Südostbahn. Ich war etwas benommen von den vielen Farben, Facetten und Gerüchen, die ich hier traf. Verschiedene Welten im selben Land. Etwas aber, dachte ich, etwas war uns gemeinsam: wir waren in unseren Leidenschaften unterwegs.