Jimmy Chin – Bilder aus einer Welt der Extreme

Der erste Bildband eines preisgekrönten Bergfotografen, der heute Geburtstag feiert.

«Als Kind chinesischer Einwanderer hörte ich immer, es gebe nur drei Berufe: Arzt, Anwalt oder Professor. Kletterer stand nicht auf dieser Liste. Nach dem College war ich mir sicher, dass diese traditionellen Erwartungen nicht zu mir passten; ich beschloss, mir meinen eigenen Weg durch die Welt zu bahnen.
Meine Zwanziger verbrachte ich zwischen Kletterzielen und dem Leben in einem 1989er Subaru Loyale. Nicht gerade das Graduiertenprogramm, das sich meine Eltern erhofften.»

Gesteht Jimmy Chin, geboren am 12. Oktober 1973 in Mankato, Minnesota, in der Einführung zu seinem ersten Fotoband, der seine Karriere in den Bergen dokumentiert: „There and Back“, 2021 veröffentlicht und zu einem New York Times-Bestseller emporgeklettert. Nun liegt das Meisterwerk in einer deutschen Übersetzung vor: „Bilder aus einer Welt der Extreme“.

Hierzulande dürfte Jimmy Chin insbesondere wegen zwei Fotos bekannt sein, beide mit Alex Honnold im kalifornischen Yosemite Valley, je solo und seilfrei und in roten Oberkleidern unterwegs an den beiden berühmtesten Gipfeln dort. Einmal ruhig stehend, mit dem Rücken zum Fels und den Händen den Beinen, auf der schuhbreiten Thank God Ledge in der senkrechten Nordwestwand des Half Dome, ein Bild, das die Verlorenheit der Alpinisten auf vertikaler Flur perfekt dokumentiert. Das andere Foto zeigt Alex in einer der Gipfelseillängen der tausend Meter hohen Freerider-Route am El Capitan während seiner Free-Solo-Begehung am 3. Juni 2017. Der gleichnamige Dokumentarfilm stammt eben von Jimmy Chin und seiner Frau Elizabeth Chai Vasarhelyi; 2019 erhielt „Free Solo“ den Oscar für den besten Dokumentarfilm. Überfällig also, ein Bildband von Jimmy Chin.

In diesem 24 x 30 cm grossen, 3 cm dicken und gut 2 kg schweren Buch sind über 200 dramatische und auch ganz entspannte Fotos versammelt, die Jimmy Chin über einen Zeitraum von mehr als 20 Jahren bei Expeditionen auf sieben Kontinenten aufgenommen hat – von der Skiabfahrt vom Mount Everest über Erstbesteigungen in der Ennedi-Wüste im Tschad oder im Königin-Maud-Land in der Antarktis bis hin zur Überquerung des Chang-Tang-Plateaus in Tibet ohne fremde Hilfe. Im Laufe der Seiten und seiner Abenteuer teilt er Details über die Hintergründe, die es ihm ermöglichten, diese Bilder unter oft schwierigsten Bedingungen einzufangen, und erzählt die Geschichten der Abenteurer und Athleten, die er fotografiert hat, darunter eben Alex Honnold, die Skifahrerin Kit DesLauriers, der Snowboarder Travis Rice, die Alpinisten Conrad Anker und Yvon Chouinard, die Kletterin Hazel Findlay, die beim Deep Water Soloing in Oman einen Köpfler ins Meer hinab macht, atemberaubend und aufatmend in gleichen Augenblick. Ein harmloser Fall. Aber von einem anderen hatte Jimmy Chin grosse Angst, am 3. Juni 2017 in der Südwestwand des El Capitan:

„Ich selbst würde Alex in der letzten Crux, der Enduro Corner, filmen. Diese Länge gleicht einem riesigen offenen Buch aus poliertem Granit mit einem schmalen und extrem steilen Riss im Falz. Der hatte schon viele erfahrene Kletterer ausgespuckt. Wenn Alex das passieren sollte, wollte ich nicht, dass jemand anderes das unmittelbar erleben musste.
Die Tragweite des Geschehens war mir 760 Meter in der Luft hängend voll bewusst. Meine Arme spannten sich an, um die Filmkamera zu halten, auf der ich eine Fotokamera angebracht hatte, damit ich gleichzeitig Stills aufnehmen und filmen konnte. Ich dachte an die Anweisung, die ich gegeben hatte: ‚Keine Fehler. Auf die Arbeit konzentrieren.‘“

Jimmy Chin: Bilder aus einer Welt der Extreme. Prestel Verlag, München 2022. € 50,00.

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