Josef Viktor Widmann

Der Berg und die Liebe. Das Thema ist so alt wie die Alpine Literatur oder wohl noch älter. Schon der Berner Albrecht von Haller erzählt ja vom freien Leben auf den Almen. Und der Berner Joseph Victor Widmann schöpft in seinen Werken offenbar auch aus dem Vollen. Dank Neuauflage können sich auch Zürcher an seinen amüsanten Erzählungen erfreuen. Eventuell auch Basler und der Rest der Welt.

„Alpenrosen konnte ich in den ersten Tagen unseres Aufenthaltes [auf Handeck] wenige Minuten oberhalb des Gasthauses auf dem bereits erwähnten Hügel pflücken, den ich den Zypressenhügel nannte, weil die tiefschwarzen und oben scharf zugespitzten Tannen, die seinen Gipfel krönen, aus einiger Entfernung gesehen an jenen Baum des Südens erinnerten.“

Zum Pflücken von Alpenrosen ist es noch zu früh, die liegen noch gemütlich unter einer dicken Schneedecke. Aber die ersten Schneeglöcklein haben ihre Blüten aus braun-grünen Matten hervor gestreckt. Und in Nizza wetteifern Mimosen und Bougainvilleas darum, wer stärker leuchtet. Doch kehren wir von der Côte d’Azur zurück nach Handeck im Grimselgebiet, zum Zypressenhügel. Dieser 1496 Meter hohe Hügel war von 1993 bis 2013 auf der Landeskarte der Schweiz im Massstab 1:25‘000 als „Widmannshöhe“ verzeichnet; sie war also einer der Namensberge im Land wie Dufour- oder Gertrudspitze. Nun hat man aus welchem Grund auch immer den Namen getilgt. Dabei hat dieser Josef Viktor Widmann (1842-1911) der Gegend und dem Gasthof Handeck ein paar schöne Zeilen gewidmet. Sie sind abgedruckt in der zweiten Auflage von „Du schöne Welt. Wanderungen und Reisen in Italien und der Schweiz“, die 1919 herauskam. Und die nun René P. Moor in seinem Verlag Wanderwerk pünktlich zum 175. Geburtstag von Widmann am 20. Februar neu aufgelegt hat, mit einem eigenen Vorwort und mit einigen Ergänzungen, wie eben zur Widmannshöhe.

So klein die Anhöhe, so angesehen ist das Werk des Schweizers Joseph Victor Widmann, Feuilletonredaktor des Berner „Bund“ und selber Schriftsteller (Reiseberichte, Versepen, Erzählungen). Ihm zu Ehren wurde 1914 in Bern ein Brunnen am Hirschengraben errichtet. Für zwei weltberühmte Gipfel schrieb Widmann die ersten erzählerischen Werke. „Die Matterhornbesteigung des Mr. Evertruth“ aus der dritten Auflage von „Spaziergänge in den Alpen. Wanderstudien und Plaudereien“ (1896) behandelt die damals schon akute Matterhorn-Besteigungssucht auf eine höchst amüsante Weise, die gerade in unserem virtuellen Zeitalter bestens ankommt. Dem blinden Mr. Evertruth, der um jeden Preis auf diesen Gipfel will, wird eine Besteigung vorgegaukelt, indem er nur auf einen Felsen in Dorfnähe geführt wird, mit allem Drum und Dran wie Anseilen und Hüttenübernachtung, aber ja ohne Kuhgebimmel. In diese phantasievolle Tour vermischt der Erzähler das Buhlen eines Ingenieurs und eines Dichters um Miss Edith. Wem nun Widmann die Hand der bildhübschen Tochter des Matterhorn-Helden überlässt, ist leicht zu erraten. Mit „Der Held des Eiger“ betitelte Widmann eine Story aus den „Touristennovellen“ (1892). Im Glücksgefühl seiner locker vollendeten Eigerbesteigung kehrt der 24jährige Engländer Sir Robert Doll in einem Gasthaus im Lauterbrunnental ein, wo sich eine gemischte Gesellschaft am Gästetisch befindet. Doll verteidigt dort Fräulein Angélique, eine hübsche Französin, gegen die verbalen Angriffe eines deutschen Professors, und zwar so vehement und charmant, dass es zu ganz unterschiedlichen Begegnungen kommt: die eine mit Pistolen, die andere mit Küssen. So atemberaubend kann das Leben sein.
„Du schöne Welt“ macht den Auftakt zum wanderwerkschen Widmann-Jahr. Im Sommer wird „Wilds Hochzeitsreise“ veröffentlicht und im Herbst „Rektor Müslins italienische Reise“. Schauplatz der Hochzeitsreise ist das Lauterbrunnental. In der Standseilbahn Richtung Grütschalp gibt der frisch Verheiratete gegenüber den Mitreisenden die Braut als seine Schwester aus, was bei den männlichen Sommerfrischlern nicht ohne Wirkung bleibt. Was folgt, ist ein amüsanter Schwank in Mürren zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

Apropos Mürren: Der Ferienort auf der Sonnenterrasse gegenüber von Eiger, Mönch und Jungfrau ist natürlich auch im Winter eine Reise wert. Zum Beispiel am nächsten Wochenende. Im Rahmen der skisportlichen und -politischen Ausstellung „Good News aus Afghanistan. Das Skiwunder von Bamiyan“ im Hotel Regina halte ich am
Samstag, 25. Februar, um 20.30 Uhr den Vortrag „Von Afghanistan auf den Allmendhubel. Wie Kandahar dem alpinen Skirennsport und Mürren Schwung verlieh.“

Josef Viktor Widmann: Du schöne Welt. Wanderungen und Reisen in Italien und der Schweiz. Neu herausgegeben von René P. Moor. Edition Wanderwerk, Burgistein 2017. Fr. 26.–. Erhältlich bei www.wanderwerk.ch.

Infos zu Mürren, Kandahar und Skilauf in Afghanistan unter www.reginamuerren.ch.

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