Vorklettern ist nicht meine Spezialität. Aber das kann es ja noch werden.
© Annette Frommherz
Etwas zittrig sind die Finger schon, als ich den Stand einrichte. Es ist die erste Mehrseillängen-Route dieses Jahr, und wenn ich erstmals wieder am Felsen stehe und hoch oben den Gipfel der Begierde sehe, dann ist mir, als müsste ich mit der Seiltechnik wieder ganz von vorne beginnen. Die Theorie hilft da wenig; man muss einfach immer wieder üben, üben, üben. Aber wem sage ich das.
Die Matten im Schwändital haben sich an diesem Sonntagmorgen sanft und weich hingelegt und zieren sich mit diesem frischen Grün, wie ich es liebe. Weiter oben wagt sich der Frühling noch etwas gehemmt auf den Laufsteg, aber das kommt schon noch. Die letzten Schneefelder haben sich noch nicht zurückgezogen und treten etwas launisch-matschig auf. Und endlich stehen wir vor dieser Wand – Kalkplatten, Risse, ein paar knorrige Föhren. Stolz zeigt der Brüggler, dass ihm der Winter nichts anhaben konnte.
Wir wählen die Route ‚Dornröschen’ und hoffen, sie aus dem hundertjährigen Winterschlaf wecken zu können. Wir wählen sie aber auch zu Ehren von Ursi Zweifel und Felix Ortlieb, die die Route vor 14 Jahren gebaut haben (danke, ihr zwei, und auf bald wieder im Kletter-Yoga!).
Mein Liebster steigt in die erste Seillänge ein. Mit Doppelseil zu klettern ist wieder ein Umgewöhnen, aber flexibel zu bleiben ist im fortgeschrittenen Alter das A und O. Die zweite Seillänge überlässt mir mein Begleiter mit den Worten ‚du bist dran’, was keine Widerrede zulässt. Er muss endlich durchgreifen, da muss ich ihm Recht geben; sonst klettert er in zehn Jahren noch vor. Ich halte Ausschau nach dem nächsten Haken. Im Vorstieg sind sie immer weiter weg als im Nachstieg, ich schwörs.
Oben nach der letzten Seillänge pufft mich der Wind in die Seite. Ich stehe frierend da in meinem ärmellosen Leibchen und muss warten, bis mir der Pullover gereicht wird, der im Rucksack des Nachsteigers ein Nickerchen gehalten hat.
Mir ist nicht ums Absteigen, als ich einen Blick hinter die Felszacken werfe. Steil fällt es hier ab und ist für mich als Spaziergang gänzlich ungeeignet. Und wer weiss, wohin uns der Wind, das himmlische Kind, abservieren würde. Abseilen!, sage ich deshalb bestimmt, noch bevor ein anderslautender Vorschlag kommen kann.
Dornröschen liess sich nicht blicken, aber geweckt haben wir es bestimmt.
Liebe Annette,
Bergsteigerin,Schauspielerin, Schriftstellerin, Stückeschreiberin, ….
Und das alles in bester Qualität!
Herzliche Gratulation