Das Wort gefällt mir nicht, es weckt die Assoziation, Bergsteigen sei ein Kinderspiel. Fun pur, doch selbst in einem so gut eingerichteten Klettergarten wie Mettmen, braucht es nebst Seil und Helm auch noch Vorsicht und ein bisschen Vernunft.
Klettergarten Mettmen, an einem Sonntag, das ist wie Strandbad. Die Hitze ebenso, nur fehlt das Wasser, das Körper und Geist etwas abkühlt. Die Felsblöcke sind belagert von Plaisirkletterern und kletternden Familien mit Kindern und Hunden. Alles bestens eingerichtet, Fun pur, Klettern so easy wie in der Halle. Dort steigt der Neunjährige ja schon 6b vor, angepeitscht von seinen ehrgeizigen Eltern. Den Szenenjargon hat er schon perfekt intus, auch jetzt, wo er an am Block E auf einer abschüssigen Platte nach dem Bohrhaken sucht. Mama gibt Anweisung von unten, Papa sichert. Der Junge wird leicht unsicher, der letzte Bohri steckt so tief, dass ein Sturz ungebremst auf dem Boden enden würde, zehn Meter freier Fall. Der Bub rutscht ein bisschen, klettert weiter, Mamas Anweisungen steigen eine Oktave höher. Es ist ja nur eine 4c, steht im Führer, und nun entdeckt der künftige Ueli Steck einen zweiten Bohrhaken in einer Verschneidung über der Platte, ein Erwachsener könnte ihn problemlos klippen, doch seine Arme sind noch zu kurz. Ich darf nicht hinschauen, höre nur noch die schrillen Rufe der Frau: «Hast du eingehängt, hast du eingehängt, häng doch ein …»
Überlebt. Später klettert dann auch Papa, während der Junge ungesichert oben auf dem Block herumturnt. Und noch später packt er einen Riss an, am ansetzenden Überhang angeschoben von den Eltern, Block D, 5b diesmal. Bald darauf ein Scharren, ein Schrei, jetzt schauen alle hin, kopfüber hat es den Kleinen abgeworfen, er prallt gegen den Fels und weint. Papa lässt ihn ab, und Mama beruhigt: «Gut, hast du den Helm auf.»
Ich bin versucht, einzugreifen, man soll ja nicht wegschauen, heisst es, doch meine Begleiterin und die Vernunft halten mich zurück. Kein Streit, dem Bub hilft’s nicht, vielleicht hat er was gelernt, vielleicht auch Papa und Mama. Sie umarmen ihn, sie trösten ihn, sie legen ihn in den Schatten, wo er vor sich hinwimmert. Sie ziehen das Seil ab, machen sich bereit, eine 6b zu klettern, Block D. Der Bub scheint zu schlafen. Doch nichts gelernt.
Ich liebe das Wort «Kinderbergsteigen» nicht, es suggeriert, Bergsteigen sei was für Kinder, Spiel, Spass, ein gesunder und ungefährlicher Sport. Das stimmt ja eigentlich schon, doch Seil, Haken, Expressen und Helm verschaffen trügerische Sicherheit. Doch leider setzen sie die Fallgesetze nicht ausser Kraft, sind auch keine Garantie gegen Leichtsinn und Unachtsamkeit. Und das Kletterhallengetriebe fördert die Vorsicht auch nicht unbedingt.
Vor ein paar Jahren am selben Ort dröhnt mitten im schönen Sonntagstreiben ein Heli der Rega heran. S., ein Freund und erfahrener Extremalpinist, wollte seiner Tochter das Abseilen beibringen, hängte sich ins falsche Seil, stürzte frei acht Meter zu Boden. Er hat’s überlebt, mittelschwer verletzt. Auch grosse Erfahrung ist leider keine Lebensversicherung – Klettern ist und bleibt gefährlich.
(Bild aus dem Internet)
Zum Thema ‚Kinderklettern‘ bzw. ‚Elternklettern‘ ein schauerlicher Erlebnisbericht im aktuellen ALPIN Heft 9 September 2010, S. 58
Ein äusserst tragischer Unfall in einem Klettergarten in der Türkei. Unfassbar, traurigtragisch. Der Autor schliesst seinen Artikel mit:’Die Frage ist, ob wir ihnen (den Kindern) damit wirklich einen Gefallen tun. Oder ob es uns nicht doch nur um uns geht.‘