Kirkpatrick, Kurtyka & Hainz

„Ich weinte auf dem Gipfel des El Capitan, nach meinem Solo der Aurora, als ich dachte, dass dies ein guter Ort für meine Asche sei, und mir ausmalte, wie meine jungen Kinder sie hier verstreuten. Vermutlich hatte ich gehofft, dass mich meine Vorstellungskraft etwas länger am Leben lassen würde.“

Ausschnitt aus einem neuen Buch, das ich allen fest empfehle: Bergsteigern und solchen, die es nie werden wollen. Das Buch heisst „Ungekannte Freuden. Über das Leben, den Tod, das Klettern und alles dazwischen“. Geschrieben – und gezeichnet! – hat es Andy Kirkpatrick, Jahrgang 1971. Dieser verrückte Engländer, der uns seit 2008, seit dem Erstlingswerk „Psychovertical“, sein Leben erzählt. Besser wohl: sein Überleben. Seinen Weg vom Hilfsschüler mit einer erst spät diagnostizierten Legasthenie zum Alpinisten und Schriftsteller, zum Ehemann und Vater. Mit seinen haarsträubenden Touren, den Enttäuschungen und Zweifeln, den Ängsten und Gewissensbissen, der Trauer und immer wieder: der Freude am Leben, am Überleben natürlich auch. Ein Lesegenuss, ein Leseabenteuer für alle. Gerade auch für diejenigen, die mit dem Bergsteigen gar nichts an der Mütze haben.

Sie hat eine Schwäche für die starken osteuropäischen Bergsteiger, die Kanadierin Bernadette McDonald, Autorin und Fachfrau in Sachen Bergliteratur und -film. Nach den preisgekrönten Werken zum polnischen Alpinismus („Klettern für Freiheit“) und zum slowenischen („Der Weg zur Spitze“) legt sie nun die Biografie eines polnischen Ausnahmebergsteigers vor: „Die Kunst der Freiheit. Voytek Kurtyka – Leben und Berge“. Der 72-jährige Kurtyka ist ein ganz besonderer Kerl. Nicht nur ein herausragender Meister seines Fachs (und immer noch am Leben, was bei vielen seiner Gefährten leider nicht mehr der Fall ist), sondern auch ein Exzentriker, ja ein Genie, der es bewundernswert gelang, Leben und Überleben, Egoismus und Kameradschaft zu verknüpfen. Bernadette McDonald versteht es, diesen Mann den Hobby- und Nichtbergsteigerinnen hautnah näher zu bringen. Eine Lesebergtour, die von polnischen Felstürmen über die Hohe Tatra und das Mont-Blanc-Massiv zum Hindukusch, Karakorum und Himalaya führt, Familienleben inklusive.

Und er, er hat sich ganz den Bergen verschrieben, der 1961 in Mühlwald im Südtirol geborene Extremkletterer und Bergführer Christoph Hainz. Nach seinem vergriffenen ersten Buch „Ausstieg in die Senkrechte“ (2005) liegt nun sein zweites Buch vor. Darin erzählt er von seinem Alltag als Berg- und Skiführer und von seinen grossen Tagen am Berg, so von den drei Zinnen über die Eigernordwand bis zur Erstbegehung des Nordpfeilers am Shivling im Himalaya. Der bekannte Alpinhistoriker Jochen Hemmleb, heute in Lana bei Meran zuhause, hat Hainz während der Arbeit an der neuen Autobiographie „Nur der Berg ist mein Boss“ federführend am Schreibtisch begleitet. Entstanden ist so das lesenswerte, mit vielen Fotos illustrierte Portrait eines Allround-Bergsteigers im höchsten Sinne.

Drei ganz unterschiedliche (Auto)biographien von drei Topalpinisten aus drei Ländern und zwei Generationen. Sie passen perfekt zum Internationalen Tag der Berge am 11. Dezember 2019. Denn seit 2015 wird dieser Tag mit „Berge lesen“ gefeiert. Solche „Berge lesen Festivals“ werden an verschiedenen Orten durchgeführt, zum Beispiel im Alpinen Museum der Schweiz in Bern. Oder in der Zentralbibliothek des SAC in der ZB Zürich zum Thema „Fake News im Alpinismus“. Ja, lügen die Alpinisten? Leiden sie unter Lügen? Mehr dazu in Mario Casellas Buch „Die Last der Schatten. Wenn Alpinisten nicht die ganze Wahrheit sagen“ – und eben am Mittwoch, 11. Dezember, 18 Uhr in der ZB Zürich www.sac-cas.ch/de/der-sac/fake-news-im-alpinismus-21310/

Das letzte Wort aber überlassen wir Andy Kirkpatrick, mit der zweiten Strophe seines Gedichtes „Der Berg“:

Der Berg verrät nicht,
betrügt nicht, täuscht nicht.
Sagt nicht ja, wenn er nein meint.
Handelt nicht aus Angst.
Handelt nicht aus Liebe.
Zieht dich nicht rein und wirft dich dann zurück,
lehnt dich nicht ab,
führt dich weder in die Irre
noch nach Hause.

Andy Kirkpatrick: Ungekannte Freuden. Über das Leben, den Tod, das Klettern und alles dazwischen. AS Verlag, Zürich 2019, Fr. 34.90.

Bernadette McDonald: Die Kunst der Freiheit. Voytek Kurtyka – Leben und Berge. AS Verlag, Zürich 2019. Fr. 39.80.

Christoph Hainz mit Jochen Hemmleb: Nur der Berg ist mein Boss. Das Leben des Südtiroler Extremkletterers und Bergführers. Mit einem Vorwort von Frank-Walter Steinmeier, Beiträgen von Thomas Engel und Gerda Schwienbacher sowie einem Nachwort von Hans Kammerlander. Tyrolia-Verlag, Innsbruck 2019, Fr. 39.90

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