Kleiner Falke und Mückenfresser

Die Wand der Ungezogenen und eine märchenhafte Route. Eine Entdeckung im moderaten Fels in Finale. Das gibt’s tatsächlich noch.

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Grauer Morgen, Abschiedstag, grauer Fels, geriffelt wie eine Käseraffel. Griffig, löchrig, ein scharfer Wind fegt durchs Tal. Doch die Route ein Traum, eine moderate 6a, geneigte Platten, eine kleine Verschneidung, so dass auch nach vier warmen Sonnentagen an diesem kalten Morgen die Kletterlust nochmals erwacht. Die Route stammt aus dem Jahr 1980, im Sektor Maleducati am Bric Spaventaggi neben der Pianarella. Alles wunderbar klingende Wörter und graugelb flammende Felsen und ein Routenname wie aus dem Märchenbuch. «Il falchetto picchietto e il mangiatore di mosche.» Da reicht mein Italienisch nur halbwegs hin: Von einem geschlagenen oder schlagenden kleinen Falken ist die Rede und einem Mückenfresser. Vielleicht eine Fabel? Etwa aus einem Buch von Gianni Rodari, favole al telefono? Jedenfalls hatten die Erstbegeher noch Sinn für poetische Routennamen, nebst sinnvoller und schöner Routenführung. Und liebevoll gestaltet auch das Täfelchen am Einstieg, als freundliche Einladung gedacht. Hierher komme ich bestimmt wiedermal.
Und dann die Erinnerung: Hier waren wir doch schon mal. Dort unten beim roten Haus, an dem der Weg vorbeiführt. Dort wohnte ein französischer Bildhauer, der aus den Kalkbrocken des aufgelassenen Steinbruchs üppige Frauenfiguren meisselte, gerade so üppige wie seine Frau, die uns Wein und Käse und Brot offerierte. Und die sich gleich in unsern Halbjährigen verliebte, ihn aus der Tragtasche hob küsste und herzte und uns ganze Bündel von Windeln schenkte und kleine Schösschen, so genannte grembulini. Der Halbjährige ist inzwischen vierzig und das gibt einen Massstab für die Zeit, die inzwischen vergangen ist. Kaum jemand dachte damals an Klettern in Finale, jedenfalls nicht in unseren Breiten.
Das freundliche Künstlerpaar war bestimmt schon weitergezogen, als die ersten Routenerschliesser hier auftauchten. Denn es heisst, sie seien übel beschimpft worden von den damaligen Bewohnern des roten Hauses, offenbar hatte es auch etwas mit ihren Hunden zu tun. Jedenfalls wurden sie «maleducati» genannt, also Unerzogene. Was sie offenbar nicht hinderte, sich weiter durchs Gebüsch zu kämpfen bis zu dieser schönen grauen Wand und die Route des kleinen Falken und des Mückenfressers einzurichten. Den Sektor nannten sie logischerweise Maleducati. So ist aus diesem kalten Abschiedsmorgen noch eine warme und schöne Erinnerung geworden, nebst dem Klettergenuss trotz kalten Fingern.

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