Königslinien

Der Slogan «Alles fährt Ski» sei scheints reine Fiktion, stand diese Woche in einer Zeitung. Immer weniger Junge brettern oder laufen Schneeschuh. Warum auch? Es gibt jetzt eine neue Zeitschrift, in der man alles nachlesen kann, es gibt ein neues Buch eines Extremskifahrers und auch die alten Klassiker von Nansen & Co. sind immer noch spannend.

KoenigslineCOVER

„Nichts stählt die Muskeln so sehr, nichts macht den Körper elastischer und geschmeidiger, nichts verleiht eine größere Umsicht und Gewandtheit, nichts stärkt den Willen mehr, nichts macht den Sinn so frisch wie das Schneeschuhlaufen.“

Lesen wir im ersten Skibuch. Nicht das erste Buch, in welchem von Ski die Rede ist. Doch das erste, das dieses Fortbewegungsmittel zum Titel hat: „Auf Schneeschuhen durch Grönland“, 1891 bei der Verlagsanstalt und Druckerei A. G. (vorm. J. F. Richter) in Hamburg herausgekommen. Und Schneeschuhe waren damals auch die langen Holzlatten, nicht nur die runden, mit Schnüren bespannten Holzrahmen. Der norwegische Originaltitel des 1890 in Christiania erschienenen Werkes von Fridtjof Nansen heisst denn auch „Paa Ski over Grönland“. 1888 hatte Nansen mit seinen fünf Landsmänner Samuel Balto, Oluf Dietrichson, Kristian Kristiansen, Ole Ravna und Otto Sverdrup erstmals das unermesslich riesige Inlandeis Grönlands traversiert – das gefährliche Unternehmen gelang nicht zuletzt deshalb, weil die Abenteurer Ski benützten. Und von diesen besonderen Schneeschuhen schreibt Nansen in seinem Buch, das in den Alpenländern, wo man die in Nordeuropa schon jahrhundertelang benutzten Geräte schon ein bisschen ausprobiert hatte, einen eigentlichen Skiboom auslöste.

„Kann man sich etwas Frischeres, Belebenderes denken, als schnell wie der Vogel über die bewaldeten Abhänge dahinzugleiten, während die Winterluft und die Tannenzweige unsere Wangen streifen und Augen, Hirn und Muskeln sich anstrengen, bereit, jedem unbekannten Hindernis auszuweichen, das sich uns jeden Augenblick in den Weg stellen kann?“ Wer so schrieb, muss die Ski nicht nur auf dem Grönlandeis ausprobiert und beherrscht haben. Nansens zweibändiger Expeditionsbericht mit integriertem Lobgesang einer neuen Wintersportart fesselte ab 1890 die englischen und schwedischen, ab 1891 eben die deutschen und ab 1893 die französischen Leser.

Passend, dass nun dieses Pionierwerk auf dem Bücherbrett einer neuen Skipublikation ausführlich gewürdigt wird. In der ersten Nummer für den Winter 2013/14 geht es ums Skifahren und Langlaufen in Bosco/Gurin und in Alyeska in Alaska, um die wunderbar vergängliche Schneekunst von Simon Beck, um Lawinen und Legenden (hier Alberto Tomba), um Hüttenrezepte und alpine Architektur (Peter Zumthors Bauten könnte man allerdings skilastiger vorstellen). Sehr gut gefällt der Er-Fahrungsbericht mit Topskis von einst – in diesem Fall der Blizzard Firebird Baujahr 1976; ich freue mich schon auf Rossignol Strato oder Kneissl White Star. Das schöne Heft, das Philipp Radtke in München herausgibt, heisst „Königslinie. Magazin für Skikultur“.

Moments à Part

Königliche Linien stellt der französische Extremskifahrer Thierry Clavel in „Moments à Part“ vor. War Nansens Skifahrt durch Grönland mehrheitlich horizontal, so sind die Abfahrten dieses „skieur de pente raide“ schier vertikal. So kommt es einem jedenfalls vor, wenn man die weissen Linien in den felsigen Wänden sieht. Wer da runter kurven will, muss Muskeln und Hirn ziemlich gut beherrschen. „Le premier virage, c’est toujours le plus dur“, schreibt Clavel. Und: „Toute position de recul, toute hésitation pouvant induire une faute lourde de conséquences.“

Zwei befahrbare Couloirs fand Clavel am Olan (3564 m), einem der wuchtigen Gipfel in den Dauphiné-Alpen und Schicksalsberg von Léon Zwingelstein. Dieser „chemineau de la montagne“ ist bekannt für seine Solodurchquerung der Alpen auf Ski vom 1. Februar bis zum 1. Mai 1933: von Grenoble runter nach Nizza, nordwärts die Alpen hoch nach Chamonix, durch die Schweizer Alpen ostwärts bis in die Silvretta und wieder zurück nach Chamonix. Am 13. Juli 1934 stürzten Zwingelstein und Pierre Martin-Morel beim Abstieg vom Olan ab.

Königslinie. Magazin für Skikultur. Nr. 1, Winter 2013/14, Fr. 6.50, www.koenigslinie.com.
Thierry Clavel: Moments à Part. Carnets d’un skieur de pente raide. Ibex Books 2013, Euro 12.-
Jacques Dieterlen: Léon Zwingelstein. Le chemineau de la montagne. Flammarion, Paris 1938.
Léon Zwingelstein: Carnet de route. Editions Glénat, Grenoble 1989.

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