Der alpine Hoteltourismus befindet sich nach diesem Sommer wieder mal im Jammertal, wie man liest. Zu teuer, zu wenig Event, zu veraltet, zu hoher Frankenkurs ect. Ein Blick in die Geschichte von Mürren kann versöhnlich stimmen: Sonnenterrasse und das Panorama der Jungfrau kann kein Grossinvestor herbeizaubern.
„Mürren, oberhalb des Felswände des Lauterbrunnentals wie auf einem Polsterstuhl an der Sonne liegend, ist ein aristokratischer Kurort, der den spanischen Exkönig und Persönlichkeiten wie Lord Lytten, ferner Tennismeister und Eiskunstläufer zu seinen Gästen zählt. Er hat besonders im Winter viel Betrieb, die Skischule ist im Pensionspreis inbegriffen. Das Arlberg-Kandahar-Skirennen ist in den ungeraden Jahren das gröβte sportliche Ereignis. Der Zweckbau hat sich hier in Gestalt eines Hotels Edelweiβ in alpiner Landschaft angesiedelt. Arnold Lunn, der Ski-Vater und Erfinder des Slalom-Abfahrtsrennen, wohnt hier.“
So beschreibt Hans Rudolf Schmid im Reiseführer „Das Buch von der Schweiz, Nord und West. Was nicht im ‚Baedeker‘ steht“, den er zusammen mit Annemarie Schwarzenbach 1933 veröffentlichte, kurz und bündig Mürren im Berner Oberland. Einer der traditionsreichsten Höhenkurorte der Schweiz, von den Reiseschriftstellern, Malern, Fotografen und Touristen um die Mitte des 19. Jahrhunderts entdeckt und dann weit über Jungfrau, Mönch und Schilthorn hinaus bekannt geworden, als eben der Skilauf so richtig in Fahrt kam.
„The combined effect of Mauler champagne, moonlight and powder snow was superb“, erinnerte sich Arnold Lunn (1888-1974) im Buch „The Kandahar Story“. Es waren britische Kriegsgefangene, die im Ersten Weltkrieg in Mürren stationiert waren und in Winternächten die Mischung aus Maulersekt aus dem Val de Travers, Vollmond und Pulverschnee ausprobierten, insbesondere auf einem Hügel nördlich des Allmendhubels. Dass die Offiziere gerade in Mürren einen so exquisiten Zwangsaufenthalt verbringen mussten bzw. durften, ist dem Vater von Arnold Lunn zu verdanken. Der Tennis- und Reiseunternehmer Henry Lunn hatte 1911 Mürren für seine erste Ski Package Tour ausgesucht. Selbst fuhr er nicht Ski, aber er wusste, wie seine Landsleute die Skiferien verbringen wollten; er mietete das Palace Hotel und überzeugte die Bahngesellschaft, die Züge auch im Winter von Lauterbrunnen nach Mürren fahren zu lassen. Und so erhielt Mürren einen englischen Touch; am Schiltgrat gab es plötzlich eine „Hindenburg Line“, die Mittelstation Winteregg der Höhenbahn von der Grütschalp nach Mürren hiess auf einmal „Half-way House“, eine versteckte Talmulde oberhalb davon wurde zum „Hidden Valley“. Geblieben ist bis heute der Maulerhubel. Peter Lunn hat die Asche seines Vaters auf dessen Wunsch hin auf dem Hubel ausgestreut.
Heute berühmter als der Maulerhubel ist der Piz Gloria, wo Filmheld James Bond im Geheimdienst Ihrer Majestät Häscher und Häschen aufs Kreuz legte. Ausserhalb der Film- und Tourismusbranche kennt man diesen Gipfel auch als Schilthorn. Seine Eroberung zu Fuss, mit Ski und schliesslich mit der Seilbahn ist ein Aspekt eines üppig illustrierten, umfassend dokumentierten und rund lesbaren Bildbandes zur Tourismusgeschichte von Mürren. Herausgeber Patrick Feuz, Historiker, Bundeshaus-Korrespondent für „Tages-Anzeiger“ und „Der Bund“, designierter „Bund“-Chefredaktor sowie Autor einer Biografie des Schokoladefabrikanten Theodor Tobler, hat zusammen mit Sarah Nowotny, Roland Flückiger-Seiler und Daniel Di Falco ein in jeder Hinsicht gewichtiges Werk geschaffen. Es zeigt exemplarisch den so verheissungsvollen wie steinigen Werdegang eines Bergbauerndorfes zu einem Kurort; zeigt, wie, Pläne, Prachtsbauten, Beziehungen entstehen und zerfallen; zeigt, wie das Bild von Mürren entstanden ist, ja, wie der Polsterstuhl gegenüber der Jungfrau selbst zu einem Bild geworden ist.
Patrick Feuz (Hrsg.): Kronleuchter vor der Jungfrau. Mürren – eine Tourismusgeschichte. Mit Beiträgen von Patrick Feuz, Roland Flückiger-Seiler, Sarah Nowotny und Daniel Di Falco. Hier und Jetzt Verlag, Baden 2014, Fr. 69.-
Donnerstag, 11. September, 18.30: Lesung mit Patrick Feuz zu seinem „Kronleuchter vor der Jungfrau“, Alpines Museum der Schweiz in Bern, „BücherBerge“ im Herbst 2014. Kosten Fr. 12.–, Reservation: 031 350 04 41 oder shop@alpinesmuseum.ch.