Tage-, lang wochenlang auf Küstenwegen unterwegs sein. So vermischt sich das Salz des Meerwindes mit dem Salz des Lebens – und dem des Lesens.
„Was vor uns lag? Der Weg, nur der Weg.“
Aber was für ein Weg! Besser wohl: Was für Wege! Der Weg fort von einem Zuhause, das es nicht mehr gibt. Der Weg voraus in ein vielleicht neues Leben. Und der längste und wildeste Küstenweg von England, der South West Coast Path.
Moth und Raynor Winn machten sich im Jahre 2013 auf, den gut 1000 Kilometer langen South West Coast Path zu wandern, von Somerset über Devon und Cornwall nach Dorset. Sie haben alles verloren – ihr Haus, ihr Vermögen und Moth seine Gesundheit. Alles, was das Paar noch besitzt, passt in zwei Rucksäcke. Ihr Zuhause ist nun immer dort, wo sie ihr kleines Zelt aufstellen, meistens direkt auf dem Weg, selten auf Campingplätzen, weil das zu viel kostet. Sie kämpfen mit Vorurteilen und Ablehnung, dem Wetter und der Sorge, dass das Geld für den nächsten Tag nicht reicht. Und zugleich entdecken Moth und Raynor auf ihrer langen Wanderung ein neues Glück: herzliche Begegnungen, ihre neu erstarkte Liebe und die Fähigkeit, Kraft aus der Natur zu schöpfen. Und natürlich erleben sie die Natur selbst, diese wilde, wind- und leider auch zu oft regengepeitschte Südwestküste Englands. Man möchte nur bedingt mitwandern.
Aber lesend mitgehen, das schon und unbedingt. Denn Raynor Winn beschreibt den Küsten- und Lebensweg so frisch, so echt, so überzeugend, dass wir gerne mit den beiden Mutigen unterwegs sind, Seite und Seite, Schritt um Schritt. Dazu nur ein Beispiel: „Blickte man nach vorn, zog sich der Weg über eine endlose Abfolge von Landzungen dahin und verlor sich in einer blau-grünen Unendlichkeit. Blau – grün – blau – grün. (…) Er stieg in Wellen auf und ab, auf, auf, ab, ab.“ Die Originalausgabe erschien 2018, The Times bezeichnete „The Salt Path“ als „das inspirierendste Buch des Jahres“. Das Salz des Küstenweges vermischt sich mit dem Salz des Lebens zu einem Leseabenteuer.
Lust aufs Lesen und Küstenwandern bekommen? Dann sei noch ein anderer Küstenweg empfohlen. Nämlich der 1700 Kilometer lange Sentier des douaniers rund um die Bretagne. Nun, es muss ja nicht die ganze Grande Randonnée 34 sein, schon auf einzelnen Abschnitten des durchgehend rot-weiss markierten Zöllnerpfades wird man die einmalige Schön- und Wildheit der Bretagne erleben, das ununterbrochene Wechselspiel von Ebbe und Flut spüren und die Meeresfrüchte inklusive passendem Weisswein in einem petit restaurant geniessen. Also, worauf warten Sie noch? Mais oui – auf den passenden Wanderführer! Hier ist er: „Küstenwandern in der Bretagne“ von Dagmar Beckmann und Christoph Potting. 18 Tagestouren stellen die beiden mit allen nötigen Infos vor; nur die Orientierung im Führer fällt nicht ganz leicht, aber vor Ort wird es ja dann einfach sein: immer dem Wasser entlang. Jede der Touren ist einem besonderen Thema gewidmet, von Austern über Leuchttürme und Militärbunker bis zum Segeln und Salz. Let‘s go, mes amies!
Raynor Winn: Der Salzpfad. DuMont Reiseverlag, Ostfildern 2019, Fr. 22.-
Dagmar Beckmann, Christoph Potting: Küstenwandern in der Bretagne. Entdeckungstouren auf dem Zöllnerpfad. Rotpunktverlag, Zürich 2019. Fr. 34.-