Kurze Geschichte einer literarischen Bergfahrt

Bergsteiger wissen: hinter jedem Gipfel taucht ein neuer auf, ein noch höherer. Nach sechs literarischen Bergfahrten im Richisau und in Amden war das Bergfahrt-Festival in Bergün «einsame Spitze» – hoffentlich nicht die letzte.

Kurhaus Bergün – Leuchtturm des Bergfahrt-Festivals
Kurhaus Bergün – Leuchtturm des Bergfahrt-Festivals

Begonnen hat alles am «13th Festival of Mountaineering Literature» am Bretton Hall College der University of Leeds im Jahr 1999. Der Organisator Terry Gifford, «rock climbing poet», hatte mich eingeladen zu lesen – einen Text aus Graubünden: Cengalo, Cengalo. Zurück in der Schweiz erzählte ich allen, die sich für Berge und Literatur interessierten: «So etwas müssen wir auch haben! Eine Veranstaltunge für Alpine Literatur.» Das Interesse war mässig. Schön, ja aber niemand wollte das anpacken. Bis ich irgendwann mal fand: dann mache ich es halt selbst. Obwohl ich weiss: Organisieren liegt mir nicht. Ermutigt und unterstützt hat mich damals Nick Ryser, der inzwischen leider verstorben ist. Als Mitglied der Kulturkommission des SAC konnte er auch den Club motivieren, das Projekt zu unterstützen.

Anlass für die erste literarische Bergfahrt im Kulturhotel Richisau war der 100ste Geburtstag des Dichters und Bergsteigers Ludwig Hohl. Seine Erzählung «Bergfahrt» gab dem Anlass den Titel, die Schauspieler Gian Rupf und René Schnoz setzten das Stück genial in Szene – ein grosses Erlebnis, während draussen Dauerregen niederprasselte und der Glärnisch von Wolken verhangen war. Dabei waren unter andern Franz Hohler, der schon vom Namen her zu Hohl gehört, Helga Peskoller und Albert Vinzens mit philosophisch-literarischen Beiträgen zum Hohl-Thema «Warum steigen wir auf Berge?». Die Technik war noch einfach, der Saal für die über hundert Gäste eigentlich zu klein.

Für die folgenden fünf «Bergfahrten» fanden wir den schönen Saal in Amden, historich «andiamo monte», mit phantastischem Blick über Walensee und Linthebene zum Glärnisch, stets ohne Wolken. Das Wetter war immer schön, obwohl ich mir stets Regen wünschte um auch jüngere Alpinisten anzulocken, was schliesslich mässig gelang. «Ich komme gern, wenn das Wetter schlecht ist.» Auch die Ammler, wie sich die Einheimischen nenne, liessen sich nur spärlich blicken, trotz Unterstützung der Bergfahrt durch die Gemeinde und die lokale Bank, den Kanton St. Galle und die Stiftung Gartenflügel in Ziegelbrücke, dazu Migros Kulturprozent.

Nebst Lesungen, Diskussionen, musikalischen Beiträgen fand es stets auch eine dramatische Produktion statt:

Mit Gian Rupf und René Schnoz: «Meinetwegen zugrunde gehen» nach Hans Morgenthaler; «Frisch am Berg» nach Max Frisch; «Der Russ im Bergell» nach Christian Klucker mit Text von mir.

Gian Rupf und Hans Hassler: «Sez Ner» nach Arno Camenisch.

Gian Rupf und Mona Petri: «Der Weg zum Himmelsgebirge» nach Annemarie Schwarzenbach und Lorenz Saladin, Montage von mir.

Gian und René habe die Stücke weitergetragen, oft buchstäblich von Hütte zu Hütte wandernd aber auch auf Bühnen und in Beizen, unter dem Label bergtheater.ch.

Namhafte Referentinnen und Referenten konnten wir gewinnen, unter andern Robert Steiner, Andy Kirkpatrick, Ines Papert, Kurt Diemberger, Nicole Niquille, Silvia Metzeltin, Heidi Schelbert, Ruth Steinmann, Patricia Purtschert, Oswald Oelz, Franz Hohler, Karin Steinbach, Roland Heer, Christine Kopp, Leo Tuor, Fabio Pusterla, Daniel Anker, Mario Casella. Und stets waren auch Jungautorinnen und -autoren dabei, unter andern Caroline Fink, Sabina Altermatt, Felix Ortlieb, Annette Frommherz, Maya Albrecht.

Musikbeitäte von Domenic Janett, Hans Hassler, Manuel und Stephanie Lobmayer, Andreas Weissen und Franziska Baumann mit ihren «Gletschergesängen».

Die Technik ist immer komplizierter geworden, meine schlaflosen Nächte zahlreicher. Die Zeit war reif, das Projekt an jüngere Leute weiterzugeben, neu aufzustellen. Aus der «Bergfahrt» ist ein «Bergfahrt-Festival» geworden, aus «andiamo monte» Bergün. Vielleicht hat mein Bündner Cengalo-Text aus Leeds unbewusst oder über geheime Fasern den Weg aus Britannien nach Graubünden bewirkt.

Der letzte Tango am Bergfahrt-Festival
Der letzte Tango am Bergfahrt-Festival

Jedenfalls: ein Glücksfall, das erste Bergfahrt-Festival. Als mich am Sonntagnachmittag auf dem Bahnhof Bergün vor der Abfahrt jemand fragte: «Wie fühlst du dich nun?» Da sagte ich: «Ich bin glücklich!»

Glücklich, das die Idee weiterlebt, viel grösser, grossartiger, umfassender, vielfältiger, spannender als ich mir das je erträumt hätte. Drei Tage von einem Höhepunkt zum andern, wobei man stets die Qual der Wahl hatte zwischen Lesungen, Diskussionen, Konzerten, Filme, Gesprächen, Begegnungen, Kunstaktionen, Aussellungen, Gerstensuppe am langen Tisch, Kuchen im Kurhaus, Theater, Surprises und und und … Und alles eingebunden in das schöne Dorf Bergün und das historische Kurhaus in den Bergen, perfekt organisiert, literarisch, kulturell, politisch, philosophisch, musikalisch, persönlich.

Einfach phantastisch. Gelegentlich kamen mir auch Tränen, Tränen der Rührung, des Abschieds, des Glücks. Was will man mehr?

Unendlichen Dank den Initiant/-innen und Organisator/-innen Caroline Fink, Maya Albrecht, Gian Rupf, Lieni Roffler, Annina Giovanoli und allen weiteren Mitarbeitenden und Freiwilligen und Besucherinnen und Besuchern, Dank für alles.

Fotos © Marco Volken

2 Gedanken zu „Kurze Geschichte einer literarischen Bergfahrt

  1. Lieber Autor dieses Artikels,ich bin dabei,eine Anthologie über das Bergell und besonders Soglio zusammenzustellen und wäre dankbar,wenn Sie mir helfen könnten bei der Suche nach Texten.Ich bin ein Freund von Franz Hohler und kenne viele in Ihrem Beitrag auftauchenden Namen.
    Bitte antworten Sie!
    Dank und Gruß,Ihr Michael Krüger

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