Le innamorevoli donne delle nevi

Die Schöne und der Berg – das Thema ist immer wieder neu. Einst hiess es: Auf der Alm, da gibts koa Sünd, das rief auch mal einen Alpinen Sittenwächter auf den Plan, der einen SAC-Ratgeber «Alpinen Anstandes» verfasste. Dass das alpin-erotische auch Kunst sein kann, lässt sich im Museo Nazinale della Montagna in Turin bewundern, in einem nahen Klettergebiet sicher auch einige bellezze alpine in natura.

„Vielleicht bist du tropfnass, aussen und innen. Dann darfst du den rinnenden Rucksack nicht andern Berggenossen über den Kopf hängen und noch weniger deine Nässe dem Lagerheu mitteilen; es wird nämlich feucht davon, und der Krach mit dem neuen Gast ist da. Scheu dich aber nicht, dein Hemd zu wechseln, denn jetzt ist grosse Erkältungsgefahr. Die anwesenden Herren haben doch alle schon eine Männerbrust gesehen; wer von der holden Weiblichkeit ernste Freude am Bergsteigen hat, muss auch zu diesem alpinen Anblick den Mut aufbringen. Möchte sie selbst die Kleider wechseln, so wird ein improvisierter Vorhang die Schicklichkeit wahren, wenn kein Damenraum vorhanden oder dieser schon besetzt ist.“

Ein kleiner Ausschnitt, sozusagen der Damenraum, aus dem Kapitel „Alpiner Anstand“ von Prof. Dr. Leo Wehrli, erstmals zu finden in der zweiten Auflage des von der Sektion Uto des Schweizer Alpen-Clubs herausgegebenen „Ratgeber für Bergsteiger“ von 1920; die erste Auflage war vier Jahre zuvor erschienen. Geologe Wehrli, Vorstandsmitglied der Sektion Uto von 1911 bis 1923 und 1928 zu ihrem 19. Ehrenmitglied ernannt, würde sich wohl ziemlich gewundert haben, wenn er andere alpin angehauchte Publikationen aus dieser Zeit angeschaut hätte. Zum Beispiel die Zeitschrift „La Vie Parisienne“. Auf dem Titelbild der Ausgabe vom 12. Juni 1920 versucht eine schicke Dame in einem roten Rock, das wohlgeformte Hinterteil dem Betrachter darbietend, eine über einem Felsen hängende Alpenrose zu pflücken, wobei sie sich mit der linken, behandschuhten Hand auf einem nicht sichtbaren Griff abstützt, derweil die weissen Pumps, in denen schlanke Fesseln stecken, offenbar recht guten Tritt haben. Die Legende zu diesem von George Léonnec gezeichneten Cover lautet: „En vacances – la rose des Alpes“. Solche „Alpenrosen“ hat man damals in einer SAC-Hütte wohl kaum angetroffen, weder in menschlicher noch blumiger Form. Schliesslich verbot Wehrli auch das Pflücken von Blumen. Letzter Satz in seinem alpinen Stilratgeber: „Lass die Glöcklein im Winde schwingen; abgerissen verdorren sie!“

Nur einen Blumenkranz um die wohlfrisierte Kurzhaarfrisur trägt die Dame auf dem Titelbild von „La Vie Parisienne“ vom 26. Juli 1924. Sonst sitzt sie, das linke Bein angewinkelt, ganz nackt auf einem vergletscherten Felsen, die Arme lässig verschränkt, den Busen aber nur halbwegs verdeckt. Am Bergfuss kraxeln drei klein gezeichnete Männergruppen mit Seil und Pickel herum, von der holden Weiblichkeit sanft mitleidig betrachtet. Bildlegende hier: „Le temps du piolet – la montagne attend ses adorateurs.“

Wer den Mut zum Anblick solcher leicht unanständiger Titelbilder aufbringt, hat nun zwei Möglichkeiten. Man plane noch bis zum 11. November 2012 eine Reise nach Torino und besuche dort das Museo Nazionale della Montagna „Duca degli Abbruzzi“ und die Ausstellung
“Le innamorevoli donne delle nevi. Montagne e seduzione in copertina 1880-1940“. Es ist dies eine dieser köstlichen Ausstellungen, für die das alpine Museum von Turin bekannt ist;  frühere zeigten zum Beispiel alpine Filmplakate oder alte Hoteletiketten. Oder man besorge sich den dazugehörigen Katalog, das Cahier museomontagna, in diesem Fall die Nummer 176. Darin sind, neben einführenden Texten, 100 Titelbilder mit den „verliebenswürdigen Schneefrauen“ von 38 Zeitschriften abgebildet, angeordnet nach den vier Kapiteln bellezze alpine, amazoni bianche, altissime e divissime sowie cadute di stile. Eine schweizerische Zeitschrift mit einem alpinerotischen Cover fehlt im Katalog und vielleicht auch in der Sammlung; was im Weiteren nicht allzu verwundert, wenn man an Anstandsonkel Wehrli denkt.

Kleiner Trost: Linda Fäh, Miss Schweiz 2009, plant eine Besteigung des Matterhorns. Titelbild der „Coopzeitung“ vom 24. Juli 2012 zeigt sie, gut und brav eingepackt mit Mütze und Sonnenbrille. Titel: „Die Schöne und der Berg“.

Le innamorevoli donne delle nevi. Montagne e seduzione in copertina, 1880-1940. Cahier museo montagna n° 176. Museo Nazionale della Montagna, Torino 2012. Piazzale Monte dei Cappuccini 7, 10131 Torino, posta@museomontagna.org, www.museomontagna.org.

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