Léman

Léman und Literatur: eine wunderbare und wanderbare Beziehung. Zwei Frauen begleiten uns diesmal.

«Der Anblick des Genfer Sees und seiner wunderbaren Ufer hatte für meine Augen stets einen besonderen Reiz, den ich nicht erklären kann und der nicht nur von der Schönheit des Schauspiels herrührt, sondern von etwas noch Fesselnderem, was mich bewegt und ergreift.»

Voilà! Die Leser von Jean-Jacques Rousseau verschlangen solche Zeilen wie diese aus seinen „Confessions“; der erste Teil der „Bekenntnisse“ erschien 1782. Tiefe, eigene Gefühle in schöner, besuchenswerter Landschaft: Eine Formel, die heute noch zieht. Millionen von Touristen fahren jährlich in die Alpen. Mehr noch als Albrecht von Hallers Gedicht „Die Alpen“ von 1732 hat nämlich Rousseaus Briefroman „Julie ou La nouvelle Héloïse“ aus dem Jahre 1761 die Begeisterung für die Alpen und vor allem den Tourismus dorthin ausgelöst. Erfolgreichere Fremdenverkehrswerbung hat es seither kaum gegeben. Wer am Léman wandert, stolpert dauernd über Bücher. Es gibt kaum eine andere Gegend in den Alpen, über die und in der so viel geschrieben wurde.

Bücher über Schriftsteller und Schriftstellerin, ja überhaupt über Leute, in deren Leben bzw. Werken und Briefen der Lac Léman eine Rolle spielt, gibt es mindestens so viele wie Städte und Dörfer an diesem grössten See Westeuropas (so auch meinen Rother-Wanderführer „Genfer See“). Das jüngste solche Buch erschien am 13. Januar 2020 in den Éditions Slatkine de Genève: „Ils ont changé le monde sur le Léman“. Béatrice Peyrani und Ann Bandle stellen zehn berühmte Literaten vor, die zwischen 1754 und 1914 für einige Tage oder Jahre an die Ufer des Léman gekommen sind: auf der Suche nach Sicherheit, nach Ruhe, nach neuer Motivation zum Schreiben. Das sind die „dix géants de la littérature“: Voltaire, Jean-Jacques Rousseau, Germaine de Staël, François-René de Chateaubriand, George Gordon Byron, Stendhal, Alexandre Dumas, Gustave Flaubert, Victor Hugo, Romain Rolland. Es hätte da natürlich noch andere literarische Grössen gegeben, die in dieser Zeit an den lemanischen Gestaden weilten: Hans Christian Andersen, Johann Wolfgang Goethe oder Lew Nikolajewitsch Tolstoi.

Die beiden Autorinnen schildern ausführlich und spannend Leben und Werk der neun Schriftsteller und der einen Schriftstellerin, und wie der Genfer See sozusagen als Katalysator in beide Richtungen gewirkt hat. Aber nicht nur der See, sondern überhaupt die Schweiz. Am Schluss eines jeden Kapitels findet sich eine kurze Zusammenfassung zur Beziehung und zu den Besuchen der Literaten in der Schweiz; manchmal auch Zitate, wie bei Hugo und „ses plus beaux mots sur la Suisse“. Wobei, was er da sagt zu den Monumenten von Lausanne, die alle durch schlechten Geschmack verdorben worden seien, ist nicht ganz schön. Flaubert seinerseits fühlte sich nicht allzu wohl am Genfer See und noch viel weniger auf der Rigi, wo er zur Kur weilen musste. Ihm, der die Weite der Normandie liebte (und brauchte), fielen dort oben die Berge auf den Kopf. „Je donnerais tous les glaciers pour le musée du Vatican“, schrieb er seiner lieben Bekannten (und Schriftstellerin) George Sand. Und seinem Freund Iwan Sergejewitsch Turgenew, ebenfalls Schriftsteller, gestand er: „Gestern war ich versucht, drei Kälber zu umarmen, die ich auf einer Alp traf, aus Menschenfreundlichkeit und Mitteilungsbedürfnis.“

Doch zurück von der Rigi an den Léman. Und zu Rousseau. Bevor ich Euch auf ein sonniges Lesewochenende mit Julie & Co. einstimme, noch ein Hinweis: Béatrice Peyrani und Ann Bandle gründeten 2015 die Kultur-Site www.damier.ch – eine Entdeckung und Bereicherung sondergleichen. Aber nun zu Jean-Jacques und „Julie oder Die neue Héloïse. Briefe zweier Liebenden aus einer kleinen Stadt am Fuβe der Alpen“, vierter Teil, 17. Brief:

«Mit Müh und Not gelang es uns endlich, bis nach Meillerie zurückzurudern. (…) Weil nach der Mahlzeit die Wellen noch immer hoch gingen und das Boot ausgebessert werden muβte, schlug ich einen Spaziergang vor. Julie wandte ein, der Wind sei zu heftig und die Sonne zu heiβ, und erinnerte mich an meine eigne Müdigkeit. Ich hatte jedoch meine Absichten und zerstreute alle Bedenken. ‚Ich bin‘, sagte ich, ‚seit meiner Kindheit an harte Leibesübungen gewöhnt; sie schaden meiner Gesundheit durchaus nicht, sondern stärken sie vielmehr (…). Was Sonne und Wind betrifft, so haben Sie ja Ihren Strohhut; wir werden bald im Schutz des Waldes sein; wir müssen nur zwischen etlichen Felsen hinaufsteigen (…).»

Béatrice Peyrani, Ann Bandle: Ils ont changé le monde sur le Léman. Éditions Slatkine, Genève 2020, Fr. 37.-

Ein Gedanke zu „Léman

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