Liebes- und andere Händel in den Bergen

Nur Berglesen ist schöner als Bergsteigen. Mit diesen fünf Büchern sowieso.

– On dirait qu’il y a eu une époque bénie, un âge d’or du roman d’alpinisme : Frison-Roche en France, Ramuz en Suisse, Rigoni Stern en Italie… Et puis plus rien.
– Plus rien, tu exagères, répliqua enfin Sylvain.

Und wie er übertreibt! Keine guten Bergsteigerromane seit Frison-Roche und Ramuz? Wobei Letzterer eigentlich nicht Alpinismusromane schrieb, sondern Bergromane. Nicht ganz das Gleiche. Aber wir wollen nicht schon in der ersten Seillänge quengeln, es reicht, wenn das Seil krangelt… Also nichts mehr seit Jahrzehnten? Wie wär’s mit Arno Camenisch, Peter Weibel oder Emil Zopfi, um nur drei heutige deutschsprachige Autoren aus der Schweiz zu nennen. Scheint man halt in Frankreich nicht zu kennen.

Das zitierte Gespräch zwischen Jean-Christophe Rufin und Sylvain Tesson findet sich in der Einleitung zum Berg(steigen)roman „Les Flammes de Pierre“ von Rufin. Die Einleitung, die von einer schwierigen Kletterei auf die Aiguille de la République ob Chamonix durch den Autor und seine Freunde handelt, dient als Rahmenerzählung, aus der heraus sich die Geschichte von Rémy und Laure entwickelt, eine im Montblanc-Massiv und in Paris spielende Liebesgeschichte zwischen einem einheimischen Bergführer und Skilehrer und einer Touristin. Ein urklassisches Thema, das Rufin, Mitglied des Académie française, da für seinen ersten Bergroman gewählt hat, und er macht seine Sache natürlich elegant und eloquent, schliesslich kennt er sich mit Schreiben und Steigen bestens aus. Mit dem Ende bin ich allerdings gar nicht verstanden; nimmt mich wunder, wie es Euch damit geht.

Apropos Jean-Christophe Rufin: Für „Montagnes humaines“ hat er Texte anderer Bergautoren ausgewählt (Dino Buzzati, Tita Piaz, Joseph Kessel und Roger Frison-Roche). Den Hauptteil des Buches bildet ein spannendes Gespräch mit Fabrice Lardreau übers Bergsteigen und Klettern, über den Werdegang (Rufin war Vizepräsident von Médecins sans frontières) und den Bestseller zum Jakobsweg („Immortelle Randonnée“). Am Schluss sagt er zu den Gründen, weshalb er schreibe und steige: „J’ai écrit un roman sur la montagne, dans lequel je mets en scène à peu près toutes les raisons possibles de se livrer à ces activités. En réalité, il n’y a pas de raison pour aller en montagne ou pour écrire, si ce n’est le plaisir qu’on en tire.“

Das Vergnügen, der Spass, die Freude ist auch bei den LeserInnen. Und das ebenfalls bei folgenden Titeln. Darin es, nicht ganz überraschend, nochmals um das Verhältnis, um die Beziehung von Einheimischen und Auswärtigen geht. Zum Beispiel im Roman „Über den Gipfeln wohnt das Glück“ von Gabriele Thaler. Mit gebrochenem Herzen kehrt die Tirolerin Theresa in ihr Heimatdorf zurück, dessen Idylle durch ein grossspuriges Hotel- und Pistenskiprojekt fremder Investoren bedroht ist. Wird ihr die aufkeimende Liebe zum Einsiedler Robert helfen, das Dorf in ihrem Sinn zu retten? Einige Dorfbewohner haben nämlich durchaus grosses (finanzielles) Interesse am Ausbau. Auch hier sei das Ende nicht verraten, ebenfalls nicht bei zwei weiteren Büchern.

„Alpentroll“ von Erika Sommer ist mit Kriminalroman betitelt, aber für einen Krimi fehlen dann doch ein paar Abgründe. Gut zu lesen ist das Buch trotzdem, am besten bei einem Aufenthalt in Disentis, im Hotel Medelina in Curaglia oder in einer anderen Unterkunft im Val Medel. In diesem Tal am Lukmanierpass erhitzen sich die Gemüter wegen Projekten zur Förderung eines naturnahen Tourismus bzw. für einen grossangelegten Windpark. Im Mittelpunkt steht der Ich-Erzähler, Historiker und Rentner Fridolin Berger aus Basel, dem es im Passtal gut gefällt, erst recht, als er im fiktiven Hotel Piz Cuschletta die Einheimische Luisa kennenlernt. Das sei hier verraten. Aber nicht, wie sich der Alpentroll mit den Windrädern herumschlägt.

Zuletzt möchte ich Euch noch die Geschichte „Aenneli von Siebenthal“ ans Herz legen, die so beginnt: „Der Kurort Weißenburg im Simmenthal ist das schweizerische Nizza.“ Davon ist heute gar nichts mehr zu spüren, die prächtige Hotelanlage ist schon lange verschwunden. Aber einst traf sich die Welt zum Lauwassertrinken am Buuschebach, und davon erzählt Alfred Hartmann (1814–1897). Grossartig die Szene, wie sich der adelige Verehrer von Aenneli todesmutig an ein über die Schlucht gespanntes Seil hängt und dann von einem jungen Simmentaler gerettet werden muss; heute gibt es dort eine schmale Hängebrücke – nichts für schwindelanfällige Touristen. Hartmanns „Kiltabend-Geschichten“ wurden früher fleissig gelesen und sind nun in einer fein editierten Ausgabe neu greifbar. Neben Aenneli habe ich „Karlidürsen Joggi’s Liseli“ mit grossem Pläsir erlebt.

Jean-Christophe Rufin: Les Flammes de Pierre. Roman. Éditions Gallimard, Paris 2021, € 21,00.
Jean-Christophe Rufin: Montagnes humaines. Entretiens avec Fabrice Lardreau. Arthaud, Paris 2021, Collection Versant intime, € 13,00.
Gabriele Thaler: Über den Gipfeln wohnt das Glück. Roman. Heyne Verlag, München 2021, € 10,00.
Erika Sommer: Alpentroll. Kriminalroman. Gmeiner Verlag, Meßkirch 2022, € 14,00.
Alfred Hartmann: Kiltabend-Geschichten. Herausgegeben und mit einem Nachwort von Jesko Reiling in Zusammenarbeit mit Eveline Wermelinger. Chronos Verlag, Zürich 2021, Fr. 48.-

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